Die Leyara-Trilogie

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Leyara und die Traumwandler

 

Wie alle anderen Ein­wohn­er Mor­eias wurde die vater­los aufgewach­sene Leyara im Alter von 11 Jahren auf die Gabe des Traumwan­delns geprüft. Eine Befähi­gung für diese ehren­volle Tätigkeit wurde jedoch nicht fest­gestellt.
Einige Jahre später fol­gt Leyara ein­er eher ungewöhn­lichen Bitte: Der betagte Traumwan­dler Lukas sucht Unter­stützung bei sein­er Reise in die Heimat der Wan­dler. Als selt­same Träume Leyara heim­suchen und immer mehr Traumwan­dler nicht mehr aus dem Schlaf erwachen, nimmt die Reise eine drama­tis­che Wen­dung. Haben Leyaras Träume etwas mit diesem Tief­schlaf zu tun?

Sneak Peaks

Leseprobe

Band 1 — Leyara und die Traumwandler

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Das ist Morea

Kapitel 1

Leyara drück­te sich rasch in die Hecke, als die Reit­er vor­beis­prengten. Dreck­klumpen flo­gen unter den Hufen auf. Leyara drehte sich weg und presste ihren Korb schützend an sich. Einige der Klumpen hat­ten sie getroffen.

Der Graf hat­te der Bevölkerung ver­sprochen, seine Söhne zu zügeln, aber bish­er zeigten sich die drei jun­gen Män­ner wenig beein­druckt. Mit laut­en Rufen trieben sie ihre Tiere weit­er an und lacht­en über die Pas­san­ten, die von der Straße flo­hen. Endlich ver­schwan­den sie um die näch­ste Ecke. Leyara atmete auf und wis­chte sich den Dreck vom Kleid. Es war schon schäbig genug mit all den Flick­en und abge­tra­ge­nen Stellen, da wollte sie wenig­stens nicht schmutzig auf dem Markt erscheinen.

Leyara set­zte ihren Weg zum Dorf­platz fort. Unwirsch schob sie Sträh­nen ihres aschbraunen Haares hin­ter die Ohren. Vielle­icht sollte sie wirk­lich ein Tuch tra­gen, wie ihre Mut­ter es ihr immer wieder nahelegte. Aber die hiel­ten sich auch nie an ihrem Platz, sodass Leyara es bei weni­gen Ver­suchen belassen hatte.

Ein Traumwan­dler eilte an Leyara vor­bei und grüßte sie kurz. Er war ver­mut­lich auf dem Weg zum Ger­ber, dessen Sohn seit eini­gen Tagen krank war. Kurz machte sich Leyara Sor­gen. Wenn das Kind jet­zt auch Fieberträume hätte. Er war noch nie kräftig gewe­sen. Hof­fentlich kon­nte der Traumwan­dler ihm helfen.

Kurz dachte Leyara daran, dass sie selb­st ein­mal gehofft, ja, gewün­scht hat­te, eine Traumwan­d­lerin wer­den zu kön­nen. Mit elf Jahren war ihr diese Hoff­nung auf ein anderes Leben genom­men wor­den. Sie sah die Traumwan­d­lerin noch genau vor sich, die damals die Prü­fung durchge­führt hat­te. Ins­beson­dere, weil das die erste Begeg­nung mit ein­er Frau in diesem Beruf war, hat­te es sich in ihr Gedächt­nis eingebrannt.

Leyara schüt­telte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Es hat­te nicht sollen sein. Sei­ther hat­te sie kaum darüber nachgedacht, was sie mit ihrem Leben anstellen sollte.

Sie erre­ichte den Dorf­platz und wand sich vor­sichtig durch die Men­schen, die sich zwis­chen den Mark­t­stän­den bewegten. Bauern priesen ihre Erzeug­nisse an, der Ger­ber, der Weber, der Bäck­er – und ja, auch einige Jäger boten ihre Ware feil.

An ein­er kleinen Linde auf der anderen Seite des Platzes traf Leyara Jonathan. Sie lächelte.

“Rehauge!”, rief er begeis­tert und stieß sich vom Baum­stamm ab. “Du bist spät dran.”

“Die Grafen­söhne sind wieder unter­wegs, Jona. Und ein Traumwan­dler ist zum Ger­ber geeilt.”

Sie zwang sich, keinen Blick auf ihr Kleid zu wer­fen, welch­es immer noch einige Spuren der Begeg­nung trug.

“Die Grafen­söhne? Na, dann sei dir verziehen.”

Jonathan zog sie zum Stand seines Vaters und nahm ihr den großen Korb ab.

“Was hat dich deine Mut­ter heute holen geschickt, Rehauge?”

“Ich soll Mehl, Kartof­feln und wenn möglich Bohnen mitbringen.”

Während Leyara die benötigten Waren auflis­tete, pack­te Jonathan rasch das Gewün­schte zusam­men. Den Korb stellte er anschließend auf den Wagen hin­ter dem Stand.

“Vater? Ich werde noch ein wenig über den Markt gehen. Soll ich etwas mitbringen?”

“Nein, wir haben alles. Mut­tern backt heute selb­st. Geht nur und genießt den Mark­t­tag!”, sagte er und wink­te die zwei mit einem bre­it­en Lächeln davon.

Jonathan und Leyara schlen­derten über den sich immer weit­er fül­len­den Mark­t­platz. Jonathan schien schon eine erste Runde über den Markt gegan­gen zu sein, ehe er auf Leyara gewartet hat­te. Ziel­sich­er steuerte er auf den Gauk­ler zu, der ger­ade mit eini­gen Rin­gen jonglierte.

“Was hältst du von einem Abstech­er zu den Feldern im Süden? Die Birn­bäume am Straßen­rand tra­gen dort immer noch Früchte”, flüsterte er ihr zu und zwinkerte. “Ich habe es heute Mor­gen vom Wagen aus gesehen.”

Erschrock­en sah Leyara ihn an: “Aber – das ist doch Dieb­stahl Jona!”

“Rehauge, das wäre nicht das erste Jahr, dass wir dor­thin gingen.”

“Ich weiß, Jona. Aber Mut­ter hat mir immer wieder eingeschärft, dass ich inzwis­chen zu alt für solche Stre­iche bin!”

Bevor Jonathan antworten kon­nte, zuck­te der Gauk­ler zusam­men und ließ die Ringe fall­en. Leyara sah sich um. Einige Schreie waren zu hören. Die neben Leyara Ste­hen­den hat­ten sich zum Haus der Traumwan­dler gedreht. Leyara fol­gte ihren Blick­en. Ein Traumwan­dler sprach ger­ade zu den Umstehenden.

“Was hat das zu bedeuten, Jona?”

“Komm, das sehen wir uns an. Den Gauk­ler kön­nen wir auch später wieder besuchen.”

Jonathan zog Leyara wieder durch die Menge. Ein paar Meter vom Haus der Traumwan­dler ent­fer­nt mussten sie ste­hen bleiben.

“Was? Er ist nicht mehr erwacht?”

“Wer?”, fragte Leyara leise.

“Traumwan­dler Leon­hart”, sagte die Frau und warf einen abschätzen­den Blick auf Leyara. “Der Älteste der Traumwandler.”

Als ob Leyara nicht wusste, wer Traumwan­dler Leon­hart ist! Nur mit Mühe kon­nte sie sich eine Erwiderung verkneifen.

Jonathans Hand legte sich auf ihre Schul­ter. Als Leyara sich ihrem Fre­und zuwandte, wirk­te er geschockt.

Die Menge wogte, als sich jemand nach vorn zum Haus der Traumwan­dler durch­drän­gelte. Die Frau des Ger­bers trat an den Traumwan­dler her­an, der vor der Tür stand und sprach kurz mit ihm. Ihr Gesicht war ble­ich, und je länger sie mit dem Traumwan­dler sprach, desto weißer wurde auch sein Gesicht. Scharf fragte er etwas nach und als sie nick­te, griff er sich erschrock­en ans Herz.

“Der Traumwan­dler, der zum Sohn des Ger­bers gelaufen ist – ob ihm eben­falls etwas passiert ist?”, flüsterte Leyara leise.

“Sag so etwas nicht, Rehauge! Sie haben ger­ade erst ihr Ober­haupt ver­loren! Das wäre ja schrecklich!”

“Ich weiß, Jona. Aber sieh sie dir an.”

Sie deutete auf die bei­den Men­schen auf den Stufen vor dem Haus.

“So ble­ich. Traumwan­dler Dan wirkt so kraft­los. Da ist etwas Schreck­lich­es passiert!”

Der Traumwan­dler, immer noch mit Schreck­en im Gesicht, schien sich etwas zu fan­gen. Er dank­te der Frau des Ger­bers und betrat mit schw­eren Schrit­ten das Haus. Die Frau sah ihm kurz nach, dann ging sie mit eili­gen Schrit­ten die Treppe hin­unter und über den Markt.

“Ob es etwas Genaueres zu erfahren gibt?”

Jonathan schüt­telte leicht den Kopf.

“Traumwan­dler Richard wacht nicht mehr auf”, flüsterte jemand zu nie­mand bes­timmten. “Die Frau des Ger­bers hat es gesagt. Und ihrem kleinen Sohn geht es nicht besser!”

“Das kann nicht sein!”, antwortete jemand, eben­so leise.

“Doch, sie hat es ger­ade erzählt. Und dem Jun­gen geht es kaum besser!”

Erschrock­en blick­te Jonathan Leyara an.

“Du hat­test Recht, Rehauge!”

“Jona, ich muss heimkehren.” Leyara pack­te seinen Arm, ihre Hand krampfte sich leicht in den Stoff seines Hemdes. “Meine Mut­ter wird am Boden zer­stört sein und mich brauchen, wenn sie von all dem hört. Traumwan­dler Leon­hart hat ihr ein­mal das Leben gerettet, als sie sehr heftige Fieberträume hatte.”

Jonathan nick­te.

“Natür­lich! Komm!”

Jonathan bah­nte sich und Leyara einen Weg zurück zum Stand seines Vaters. Wort­los zahlte Leyara für die Waren, dann eilte sie voller Sorge heim.

 

Die Gartenpforte hing leicht schief in den Angeln und qui­etschte beim Öff­nen und Schließen. Leyaras Augen glit­ten rasch über die Beete. Mut­ter war nir­gends zu sehen, aber einige Kräuter waren geern­tet wor­den. Auch am Apfel­baum fehlten ein paar der schrumpeli­gen Äpfel. Leyara mochte diesen Baum. Im Som­mer spendete er kühlen Schat­ten und seine Äpfel waren immer süß und saftig, aber auf­grund ihres Ausse­hens nicht für die Tafel eines hohen Her­ren geeignet.

Ihre Mut­ter Tin­ka stand am Herd im Wohn­raum der Hütte und rührte in einem Topf, als Leyara ein­trat. “Du bist heute früh zurück.“

Leyara holte tief Luft.

“Ja, Mut­ter. Es ist etwas Schreck­lich­es bei den Traumwan­dlern passiert.”

“Seit wann acht­est du auf Gerüchte und erzählst sie weiter?”

Tin­ka drehte sich zu Leyara um. Sie wirk­te wenig begeistert.

Leyara stellte ihren Korb auf dem Esstisch ab.

“Du weißt, dass ich keine Gerüchte weit­er­erzäh­le, son­dern nur wirk­liche Neuigkeit­en mit nach Hause bringe”, sagte sie und begann, den Korb auszuräu­men. “Traumwan­dler Dan hat heute schlechte Nachricht­en verkün­det. Traumwan­dler Leon­hart ist aus einem Traum nicht mehr erwacht, er hat sich verloren.”

“Was? Er ist ein sehr erfahren­er Wan­dler! Das kann nicht sein, Leyara!”, sagte Tin­ka und trat auf Leyara zu.

“Wenn ich es aber doch von Traumwan­dler Dan selb­st gehört habe! Er stand noch unter Schock. Du hättest ihn sehen sollen!”, erwiderte Leyara und sah ihre Mut­ter jet­zt direkt an. “Aber das ist noch nicht alles.”

“Was kann es weit­er wichtiges geben?”

Tin­ka stützte sich leicht an einem der bei­den Stüh­le ab.

“Der Sohn des Ger­bers hat heute die Hil­fe eines Traumwan­dlers gebraucht – aber auch Traumwan­dler Richard ist nicht aus dem Traum erwacht! Und dem Jun­gen geht es nicht bess­er. Die Frau des Ger­bers kam zum Haus der Wan­dler und erzählte es dort.”

Leyaras Mut­ter griff sich ans Herz und ließ sich schw­er auf den Stuhl fallen.

“Das sind wirk­lich schlimme Nachricht­en, Leyara Schatz. Ich mag es kaum glauben.”

Leyara ging kurz zum Kamin und goss ihrer Mut­ter eine große Tasse von dem Kräuter­tee ein, der wie üblich über dem Feuer hing. Dann nahm sie sich eben­falls eine Tasse.

“Ich dachte, es sei sehr sel­ten, dass sich ein Traumwan­dler ver­liert”, murmelte Leyara in ihren Tee. Erst jet­zt, da sie gemütlich vor dem Kamin saß, holte der Schreck­en der Ereignisse sie ein.

“Das ist es.” Ihre Mut­ter rieb langsam sich die Stirn. Ihre Stimme war ton­los. “Und dass sich zwei Traumwan­dler am sel­ben Tag ver­lieren – davon habe ich noch nie gehört.”

 

“Ich mache mich los zu Kauf­mann Trevor.”

Tin­ka strich sich den neuen Rock glatt. Leyara trat zu ihr und rück­te ihre Haube zurecht. Sie warf einen besorgten Blick ins Gesicht ihrer Mut­ter. Sie schien den Schock des Mor­gens jedoch über­wun­den zu haben. Oder zeigte es nicht mehr.

“Danke. Ich bin heute Abend ver­mut­lich früher zurück. Es ste­ht heute nicht viel an.”

Tin­ka strich Leyara über die Wange.

“Sorge dich nicht. Es wird sich schon alles finden.”

Kurz sah Leyara ihrer Mut­ter nach. Dann begann sie, die kleine Hütte aufzuräu­men. Sie spülte das Geschirr am Trog hin­ter der Hütte, wo neben einem kleinen Brun­nen ein winziger Hüh­n­er­stall drei Hüh­n­er beherbergte. Wieder im Haus schüt­telte sie im Neben­raum die Decke vom Bett auf, welch­es sie sich mit ihrer Mut­ter teilte. Im Win­ter war das ganz angenehm, da so kein­er fror, aber inzwis­chen wurde es doch recht eng.

Im Wohn­raum öffnete sie die Fen­ster und räumte die schon aus­gepack­ten Einkäufe endlich weg. Dann begann sie mit den Vor­bere­itun­gen für das Aben­dessen. Mit den Bohnen in ein­er Schüs­sel set­zte sie sich vor das Haus und säu­berte diese von Stie­len und schnitt sie in eine zweite Schüs­sel. Ein paar der Nach­barn grüßten sie. Die Tochter eines der Bauern wink­te ihr fröh­lich zu, ehe sie von ihrem Vater zur Ord­nung gerufen wurde und weit­er ging.

Leyara war ganz froh, dass sie ohne Vater aufgewach­sen war. Ihr waren so trotz strenger Mut­ter viele Ver­bote erspart geblieben und bish­er auch eine arrang­ierte Ehe. Leyara wollte nicht darüber nach­denken, eines Tages mit irgen­deinem Mann ver­mählt zu wer­den, seinen Haushalt zu führen und seine Kinder auszu­tra­gen. Sie liebte ihre kleinen Freiheiten.

 

Nach­dem sie die Bohnen geputzt hat­te, kehrte Leyara in den Wohn­raum zurück. Bevor sie die Hütte ver­lassen hat­te, hat­te sie den Teekessel gegen einen Wasserkessel getauscht. Das Wass­er kochte inzwis­chen, sodass sie die Bohnen hinzugeben kon­nte. Außer­dem fügte sie ein paar geputzte Kartof­feln hinzu und streute eine Prise Salz darüber. Sie würde ihrer Mut­ter sagen müssen, dass sie neues Salz kaufen müssten, es war kaum mehr etwas da. Das würde erneut ein großes Loch in die Kasse reißen, Salz war teuer und nicht leicht zu bekommen.

Während das Aben­dessen langsam zu kochen begann, ließ sich Leyara nach­den­klich auf einen Stuhl fall­en. Wieder ein­mal dachte sie über die Geschicht­en nach, welche manch­mal beim Waschen am Fluss erzählt wur­den. Hin­ter vorge­hal­tener Hand wurde über das Reich der Bärin gesprochen, in welchem ange­blich Frauen regierten.

Hin und wieder erlaubte sich Leyara, darüber nachzu­denken, wie es wäre, wenn sie in einem solchen Reich aufwach­sen würde. Wenn sie nicht gemein­sam mit ihrer Mut­ter in ein­er ärm­lichen Hütte leben müsste, son­dern sie einem ange­se­henen Handw­erk nachge­hen kön­nten oder gar die Geschicke des Reich­es lenken.

Ein Klopfen riss Leyara aus ihren Tagträu­men. Sie eilte zur Tür und öffnete. Vor ihr stand ein alter, gebeugter Mann in der Tra­cht der Traumwandler.

“Seid gegrüßt, Ehrwürdiger.”

“Sei gegrüßt, Tochter.”

“Wie kann ich Euch helfen, Ehrwürdiger?”

“Ich bin auf der Durchreise und benötige eine Unterkun­ft für die Nacht.”

“Bitte, kommt here­in, Ehrwürdiger.”

Leyara öffnete die Tür ganz und ließ ihn ein­treten. Seine Bitte war ungewöhn­lich, aber sie durfte sie nicht abschla­gen. Immer­hin war er ein Traumwan­dler – und auch son­st wäre eine Ver­weigerung der Gast­fre­und­schaft ent­ge­gen jed­wed­er Gepflo­gen­heit­en und Regeln.

Der Traumwan­dler sah sich kurz im Wohn­raum um, dann set­zte er sich auf den Stuhl am Kamin.

“Ich kann Euch lei­der nur kalten Tee anbieten.”

“Ich mag Tee lieber kalt als warm.”

Leyara reichte ihm eine Tasse Kräuter­tee, dann küm­merte sie sich still um das Aben­dessen. Der Traumwan­dler beobachtete sie schweigend.

Kurz war es Leyara unan­genehm, aber dann hat­te sie sich daran gewöh­nt. Der Traumwan­dler blick­te offen und fre­undlich, nicht abschätzend. Aber es wäre wohl auch ent­ge­gen allem, wofür Traumwan­dler standen. Trotz­dem wirk­ten manche wenig begeis­tert davon, den ärmeren Bürg­ern zu helfen.

Als es dunkel wurde, kehrte Leyaras Mut­ter Tin­ka von ihrer Arbeit heim.

“Tin­ka. Ich freue mich, dass es dir gut geht.”

Der Traumwan­dler erhob sich leicht und nick­te Leyaras Mut­ter grüßend zu.

“Traumwan­dler Lukas!”

Tin­ka trat rasch in die Hütte und schloss die Tür. Auf Leyara wirk­te sie über­rascht, leicht bleich.

“Es ist lange her, als ich dich das let­zte Mal sah. Damals, als du das Dorf ver­lassen hast.”

Tin­ka nick­te – und schluckte.

“Ich habe mich für dich gefreut, als ich hörte, dass du hier eine neue Heimat gefun­den hast.”

“Was – was führt Euch zu uns?”

Tin­ka trat an den Tisch.

“Ich reise in die Traum­lande – die Heimat der Traumwan­dler. Es ist an der Zeit, dass jün­gere Wan­dler meine Arbeit tun. Außer­dem macht die Kälte hier im Nor­den meinen Gelenken immer mehr zu schaffen.”

Leyara run­zelte kurz die Stirn. Von den Traum­lan­den hat­te sie gehört, aber es schien ihr so weit weg.

“Deine Tochter war so lieb und hat mir ges­tat­tet, die Nacht bei euch zu verbringen.”

Tin­ka set­zte sich.

“Warum habt Ihr nicht das Haus der Traumwan­dler aufgesucht?”

“Das wollte ich zuerst, aber als ich hörte, dass du hier wohnst, wollte ich dich besuchen. Sieh es als Eigen­heit eines alten Mannes. Aber ich füh­le eine Schuld dir gegenüber – und gegenüber dein­er Tochter. Ich hätte dir vor all den Jahren helfen sollen. So, wie es Traumwan­dler tun. Ich lebte allein im Haus der Traumwan­dler, und eine fleißige Haushäl­terin hätte mein Leben erle­ichtert und dir einen gewis­sen Sta­tus ver­schafft. Ich habe dies zu spät erkannt.”

Er schüt­telte leicht betrübt den Kopf.

“Ihr habt mehr getan als alle anderen! Ihr habt dafür gesorgt, dass meine Eltern ein gutes Begräb­nis erhal­ten haben. Dass ich nicht sofort davonge­jagt wurde.”

Leyara sah zwis­chen den bei­den hin und her, sie ver­stand nur wenig. Wovon rede­ten die beiden?

“Deine Tochter sieht dir ähn­lich, Tinka.”

„Ja – ja, das tut sie.“ Tin­ka rieb sich die Augen und schwieg eine kleine Weile.

Leyara wagte kein Wort zu sagen.

Dann stand ihre Mut­ter mit einem Ruck auf.

„Leyara, hol den Hock­er aus dem Garten. Wir wollen zu Abend essen.“

 

Nach ein­er Nacht auf dem harten Boden erschien Leyara der Weg zum Bäck­er dop­pelt so lang wie son­st. Wie es sich gehörte, hat­te Tin­ka dem hochgestell­ten Gast das Bett ange­boten. Leyara ver­suchte, es ihm nicht übel zu nehmen, aber die Rück­en­schmerzen ver­lei­de­ten ihr etwas den son­ni­gen Tag.

„Im Haus der Traumwan­dler hätte er es beque­mer gehabt“, murmelte sie ver­drossen und trat an das Verkaufsfenster.

“Ein Laib Brot bitte”, sagte sie dem Bäck­er, der sich daraufhin den Waren zuwandte.

„Rehauge, was hat dir denn die Peter­silie verhagelt?“

“Jona! Guten Morgen!”

Leyaras Laune verbesserte sich schlagartig.

“Welch eine Über­raschung! Was führt dich ohne Mark­t­tag ins Dorf?”

“Wir haben gestern Abend Besuch bekom­men – der Traumwan­dler aus dem Heimat­dorf mein­er Mutter.”

“Ein Traumwan­dler? Komm, gib mir den Korb!”

Ehe Leyara etwas tun kon­nte, hat­te ihr Jonathan den Korb abgenom­men. Rasch kramte Leyara eine Münze her­aus und gab sie dem Bäck­er. Jonathan nahm das Brot ent­ge­gen und legte es in den Korb.

 

“Guten Tag Jonathan. Vie­len Dank, dass du Leyara geholfen hast.”

„Ich helfe gern ein­er Dame in Not.“

Mit ein­er über­trieben tiefen Ver­beu­gung reichte Jonathan den Korb an Tin­ka weiter.

Leyara ver­drehte die Augen, aber Tin­ka lachte.

“Komm doch mit here­in, Jonathan, der Tisch ist schon gedeckt.”

“Danke. Eine kleine Stärkung wird mir gut­tun. Ich habe heute Mor­gen schon Getrei­de geern­tet. Als die Sichel brach, schick­te mein Vater mich ins Dorf zum Schmied.”

Alle set­zten sich zum Traumwan­dler an den Tisch. Leyara hat­te den Hack­klotz mit in die Hütte genom­men, damit alle sitzen konnten.

“Schafft ihr die Ernte denn ohne?”, fragte Tin­ka besorgt.

“Nein. Ich kann die Sichel aber nach­her wieder abholen.”

Leyara ver­suchte, auf dem unebe­nen Klotz möglichst still zu sitzen. Die raue, split­trige Ober­fläche war ungemütlich und hat­te sich bes­timmt schon in ihrem Kleid verfangen.

Der Traumwan­dler erhielt die erste Scheibe Brot.

“Danke, Tin­ka. Nach dem Früh­stück werde ich auf­brechen müssen. Ich danke dir schon jet­zt für deine Gast­fre­und­schaft – möchte aber noch eine Bitte aussprechen.”

Tin­ka nickte.

“Wäre es möglich, dass mich Leyara eine Weile begleit­et? Ich weiß, das ist eine ungewöhn­liche Bitte, aber ich bin alt und komme nur langsam voran. Junge Beine, welche mir einen Teil mein­er Last abnehmen, wür­den meine Reise beschle­u­ni­gen. Ich möchte vor dem Herb­st die Traum­lande erre­ichen. Der Frost macht mir schon jet­zt sehr zu schaffen.”

Leyara freute sich über diese Ehre. Ein Traumwan­dler fragte nicht jeden um Hil­fe. Mit vor Aufre­gung bangem Blick sah sie zu ihrer Mut­ter hinüber.

Tin­ka sah zu Boden, sodass sie Leyaras Blick nicht sah.

“Ich kön­nte meine Eltern fra­gen, ob ich Euch eben­falls begleit­en darf, Ehrwürdi­ger. Auf den Feldern ist nicht mehr viel zu tun. Dann würde Leyara sich­er und wohlbe­hal­ten wieder heimkom­men”, schlug Jonathan vor.

“Zwei Begleit­er machen meine Reise sicher­er und schneller als ein Begleit­er. Ich würde mich über deine Gesellschaft freuen”, sagte der Traumwan­dler mit einem Lächeln. “Und ja, mit dir würde Leyara auf dem Heimweg sicher­er sein – ihr beide.”

“Leyara kann viel bess­er von den Prob­le­men der Traumwan­dler hier bericht­en”, warf der Traumwan­dler noch ein. “Ihr habt mir ja beim Aben­dessen davon erzählt. Eine Augen­zeu­g­in würde meinem Bericht mehr Wirkung verleihen.”

“Ich – ich kann Euch diese Bitte nicht abschla­gen, Ehrwürdi­ger”, sagte Tin­ka langsam. “Wenn du es denn auch möcht­est, Leyara.”

Leyara sah ihre Mut­ter nur kurz an. Sie wirk­te betrübt, als ob sie etwas belastete. Leyara wollte ihre Mut­ter nicht so zurück­lassen – aber die Traum­lande sehen? Wie kon­nte sie da ablehnen? Und wenn sie den Traumwan­dler helfen kon­nte? Kon­nte sie es dann über­haupt ablehnen? Hat­te sie eine Wahl? Nein. So wenig, wie Traumwan­dler wählten, wem sie halfen oder nicht, so wenig hat­te sie in diesem Moment eine.

“Ich begleite Euch gern, Ehrwürdi­ger, wenn Jonathan mitkom­men kann.”

Leyara war selb­st erstaunt, wie sich­er sie sich anhörte. Aber – es tat gut, gebraucht zu wer­den. Etwas tun zu kön­nen. Mit Grauen dachte sie daran, wie betrof­fen ihre Mut­ter am Vortag gewe­sen war. Und wie es allen anderen erge­hen musste.

“Ich bringe die repari­erte Sichel zu meinem Vater und frage, ob ich mit Euch reisen darf”, sagte Jonathan. Er stand auf und ver­ließ mit raschen Schrit­ten die Hütte.

 

Kurz nach Jonathans Abschied hat­te Tin­ka einen altern Led­er­ruck­sack her­vorge­holt. Er wirk­te viel genutzt, aber die ursprünglich sehr gute Qual­ität war immer noch gut zu sehen.

“Sei auf der Reise vor­sichtig”, mah­nte Tin­ka Leyara. “Ver­trau den Leuten nicht, wenn Traumwan­dler Lukas es nicht auch tut.”

“Mut­ter!”

“Hier ken­nt uns jed­er. Das ist in anderen Orten nicht so. Sei vorsichtig.”

Tin­ka legte eines ihrer besseren Klei­der mit in den Rucksack.

“Das wirst du brauchen.”

Kurz hielt sie inne.

“Hol deine fes­ten Schuhe, Leyara. Du soll­test sie mit­nehmen. Gute Schuhe sind wichtig auf Reisen.”

Leyara hob das Paar Schuhe auf und reichte sie Tinka.

“Wir sind früher viel gereist”, sagte Tin­ka leise. “Aber daran wirst du dich kaum erin­nern kön­nen. Du warst fast noch ein Baby.”

“Wir? Gereist?”

“Die Welt dort draußen ist groß. Größer, als du dir jet­zt vorstellen kannst.”

Tin­ka schwieg kurz.

“Ver­sprich mir, Leyara, dass du unter­wegs mit keinem Mann das Bett teilst! Auch nicht mit Jonathan! Ich weiß ja, dass ihr gut miteinan­der auskommt.”

“Aber, Mut­ter, warum sollte ich?”

Ver­wirrt sah Leyara ihre Mut­ter an. Die War­nung hat­te Tin­ka schon häu­figer aus­ge­sprochen. Und was sollte das mit Jonathan? Würde ihre Mut­ter Jonathan für sie aus­suchen? Würde sie mit ihm leben wollen? Leyara stieß den Gedanken von sich.

“Was wäre so schlimm daran, wenn ein Mann neben mir schlafen würde? Wir bei­de teilen uns doch auch ein Bett.”

“Ach, Kind”, sagte Tin­ka und seufzte. “Du kön­ntest schwanger wer­den. Und dann – dann müsstest du dein Leben leben, wie ich es tun musste.”

Leyara nahm ihre Mut­ter in den Arm. Ihre Mut­ter wirk­te auf ein­mal alt und gebrech­lich. Besorgt. Als ob irgen­deine Last auf ihr läge.

“Unser Leben ist doch aber schön.”

“Ja, hier ist es das. Hier ken­nen uns alle so, wie wir sind. Aber – wenn du schwanger zurück­kehren soll­test. Die Leute wür­den es nicht akzep­tieren. Ich habe das bere­its erlebt.”

Entset­zt sah Leyara sie an.

“Aber –”

“Natür­lich kommst du heim, sollte das passieren. Wir find­en einen Weg.”

Fast schien es Leyara, als würde sich ihre Mut­ter an sie klammern.

“Ich komme heim, Mut­ter. Sorge dich nicht. Ich passe auf mich auf.”

“Meine kleine Leyara wird groß.”

Tin­ka straffte sich und strich san­ft über Leyaras Wange.

“Lass uns deinen Ruck­sack fer­tig pack­en. Jonathan wird bald zurück sein und Traumwan­dler Lukas wartet sicher­lich schon. Richte dich nach ihm. Er ist ein guter, ein ehrbar­er Men­sch. So, wie Traumwan­dler sein sollten.”

Der Klei­dung fol­gte etwas Geschirr, das restliche Brot vom Früh­stück, ein paar schrumpelige Äpfel und der kleine Kan­ten Hartkäse.

 

Fröh­lich pfeifend betrat Jonathan mit seinem Ruck­sack die Hütte.

“Wir kön­nen los!”, rief er fröhlich.

Mit gemis­cht­en Gefühlen schul­terte Leyara ihren Ruck­sack und umarmte ihre Mutter.

„Leb wohl, Mut­ter. Mach dir keine Sorgen.“

Wenn sie ehrlich war, soll­ten ihre Worte nicht nur ihre Mut­ter beruhigen.

„Ich bin bald zurück.“

Aber es kam ihr vor wie ein Abschied für immer.

 

Kapitel 2

 

Müde blick­te Leyara ins Feuer. Jonathan hat­te sich bere­its schlafen gelegt und auch der alte Traumwan­dler hat­te schon seine Decke aus­ge­bre­it­et und saß darauf. Leyara aber wollte nicht schlafen. Schon seit drei Tagen – dem Großteil ihrer bish­eri­gen Reise – sucht­en sie nachts beun­ruhi­gende Träume heim. Sie hörte Hil­fer­ufe, sah selt­same Mon­ster. Jedes sah anders aus. Und immer sah sie andere Orte. Die Träume kamen ihr real­er vor als je zuvor in ihrem Leben.

„Du bist ein­fach erschöpft, Leyara“, hat­te Jonathan dazu gesagt. „Die Reise ist anstrengend.“

So ganz kon­nte Leyara das nicht glauben. Mit dem Traumwan­dler hat­te sie noch nicht darüber gesprochen. Es kam ihr ja selb­st kindisch vor.

“Leg dich schlafen, Mäd­chen”, sagte der Traumwan­dler von seinem Lager aus. “Es ist spät und wir haben noch einen weit­en Weg vor uns.”

Leyara fol­gte sein­er Auf­forderung und kuschelte sich unter ihre Decke, aber ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Lange star­rte sie in den Nachthim­mel. Als sie endlich ein­schlief, bekam sie dies kaum mit, denn im Traum sah sie eben­falls einen Sternenhimmel.

 

Nach­den­klich lag sie da, spürte das Gras unter sich, als sie eine leichte Angst überkam. Leise stand sie auf und ver­steck­te sich in einem Gebüsch. Wie in ihren anderen Träu­men zogen wenig später wieder Mon­ster an ihr vor­bei. Sie hat­ten Hörn­er und Klauen. Eines lief auf Tentakeln.

In ihrer Mitte lief ein leicht durch­scheinend ausse­hen­der Mann. Im Gegen­satz zu den Mon­stern wirk­te er wie ihre Träume vor der Reise: Schwammig, kaum greifbar.

Er wehrte sich, aber unbe­waffnet und gefes­selt war seine Gegen­wehr sinnlos.

 

Mit einem Ruck wachte Leyara sich auf, froh dem Traum entron­nen zu sein. Das Herz trom­melte in ihrer Brust und sie musste sich erst vergewis­sern, dass die Straße neben ihrem Lager leer war, ehe sie sich ans Feuer set­zen konnte.

“Mäd­chen, du musst dich ausruhen.”

Traumwan­dler Lukas saß immer noch am Feuer. Seine Tee­tasse war inzwis­chen leer.

“Ich weiß, Ehrwürdi­ger. Aber seit Tagen träume ich schlecht. Ich weiß nicht, woher es kommt.”

“Erzähl mir von den Träu­men. Ich kenne viele Träume, es ist meine Beru­fung und mein täglich Brot.”

Leyara nick­te bek­lom­men, dann erzählte sie. Aufmerk­sam hörte der Traumwan­dler zu und unter­brach sie nur hin und wieder mit Fragen.

“Nun, deine präzisen Angaben zu den ‚Mon­stern‘ sind erstaunlich. Es ist sel­ten, dass ein Nicht-Traumwan­dler sich an so viele Einzel­heit­en erin­nert. Nur der Mann macht mir Sor­gen. Es ist sehr ungewöhn­lich, dass Traum­bilder des­sel­ben Traums so ver­schieden sind.” Er über­legte. “Lass mich an deinem Traum teil­haben. Wenn du ein irgen­dein Gefühl hast, folge ihm, nimm meine Hand und führe mich. Wir soll­ten nicht miteinan­der reden, auch wenn das in Träu­men möglich ist. Ich werde ein rein­er Beobachter sein, denn jede mein­er Hand­lun­gen kön­nte zu Änderun­gen führen.”

Leyara nick­te zöger­lich, legte sich dann aber wieder hin. Ein Traumwan­dler wusste, was er tat und warum. Sie schloss die Augen. Sie spürte die Hand des Traumwan­dlers auf ihrer Stirn und plöt­zlich über­fiel sie eine starke Müdigkeit. Nur kurz wehrte sie sich, dann ließ sie sich von ihr in den Schlaf wiegen.

 

Wieder saß Leyara auf ein­er Wiese. Es war eine andere als zuvor. Im war­men Son­nen­licht sah sie sehr friedlich aus.

Sie spüre einen Blick auf sich und als sie sich umwandte, stand jemand hin­ter ihr. Es musste Traumwan­dler Lukas sein, auch wenn er deut­lich jünger und rüstiger wirk­te. Er hat­te zwei Schw­ert­er und einige Mess­er am Gür­tel, über seine Schul­ter war ein Bogen zu sehen.

Ob er die Waf­fen bei sein­er Tätigkeit als Traumwan­dler brauchte? Leyara kon­nte sich nicht daran erin­nern, wie Traumwan­dler in ihren Träu­men aus­ge­se­hen hat­ten. Es war sel­ten gewe­sen, dass sie Hil­fe gebraucht hat­te – und ihre Erin­nerung daran undeutlich.

Traumwan­dler Lukas kam zu ihr hinüber und lächelte leicht. Nur wenig später überkam die unbes­timmte Angst Leyara erneut, es befiel sie schlim­mer als zuvor. Voller Angst pack­te sie die Hand des Traumwan­dlers und zog ihn rasch von der Wiese. Sie mussten sich ver­steck­en – und zwar schnell!

Nach nur weni­gen Schrit­ten tat sich vor ihnen, leicht hin­ter einem Gebüsch ver­steckt, eine kleine Öff­nung auf. Der Hügel, in welch­er diese war, war vorher noch nicht da gewe­sen. Leyara schob jed­we­den Gedanken daran von sich. Sie schob Traumwan­dler Lukas vor sich in die Höhle.

Auf der Wiese waren inzwis­chen einige Mon­ster zu sehen. Anders als im vorheri­gen Traum sucht­en sie jedoch die Wiese ab. Sie schnüf­fel­ten mit lan­gen Nasen, lauscht­en mit großen Ohren, schienen jedoch keine wirk­liche Fährte zu find­en. Sie liefen immer wieder suchend über die Wiese. Den Erschei­n­ung­sort des Traumwan­dlers unter­sucht­en sie länger.

Der Traumwan­dler legte Leyara beruhi­gend einen Arm um die Schul­tern. Gemein­sam har­rten sie in der engen Höh­le aus.

Kon­nten die Mon­ster nicht endlich verschwinden?

Wie gern wäre Leyara jet­zt aufgewacht, wäre der Sit­u­a­tion ent­flo­hen. Aber irgend­wie kon­nte sie es nicht.

Leyara wandte sich Traumwan­dler Lukas zu, aber er schüt­telte stumm den Kopf und gab ihr zu ver­ste­hen, dass sie weit­er­hin schweigen soll­ten. Unsich­er warf Leyara einen Blick nach draußen. Ihr war nicht wohl dabei, nur durch das Gestrüpp vor den Blick­en der Mon­ster geschützt zu sein.

Leyara kniff die Augen zusam­men. War das Gestrüpp ger­ade dichter gewor­den? Sie schüt­telte leicht den Kopf. Sie bildete sich in ihrer Angst schon Dinge ein.

Als die Mon­ster endlich von der Wiese ver­schwan­den, brach Traumwan­dler Lukas das Schweigen.

“Lass uns gehen.”

 

Plöt­zlich war Leyara wieder wach. Sie set­zte sich auf. Fröstel­nd rieb sie sich die Arme.

“Das war ein inter­es­san­ter Traum. Ich werde dir jet­zt helfen, traum­los zu schlafen. Du brauchst die Ruhe und ich Zeit, um über das Erlebte nachzu­denken. Mor­gen früh werde ich dir erzählen, was ich bis dahin her­aus­ge­fun­den habe.”

Dankbar lächelte Leyara. Sie wollte zwar gern wis­sen, was ihr Traum ihm gesagt hat­te, aber die Kraft eine durch­schlafene Nacht brauchte sie auch. Und Träume waren sein Fachge­bi­et. Wenn er Zeit brauchte, dann würde das seine Richtigkeit haben.

Sie kuschelte sich unter ihre Decke. Wieder spürte sie seine Hand auf ihrer Stirn. Danach kon­nte sie sich an nichts mehr erinnern.

 

Zis­chend kochte das Tee­wass­er über.

„Mist!“

Hastig zog Leyara den Topf vom Feuer. Wenn nur der Traumwan­dler bald aufwachen würde! Hof­fentlich kon­nte er ihr sagen, woher ihre selt­samen Träume kamen!

Mit vor Kälte zit­tern­den Hän­den öffnete sie das Kräuter­päckchen. Als sie die getrock­nete Minze in den Topf streute, wachte Traumwan­dler Lukas auf. Leyara biss die Zähne zusam­men, um ihn nicht zu bedrän­gen. In aller Ruhe wusch er sich das Gesicht und zog sich seine Stiefel an. Gemäch­lich set­zte er sich zu ihr ans Feuer. Kurz dachte sie daran, dass die Kälte ihm sicher­lich zuset­zte. Warum blieben sie nachts nicht in einem Gasthaus oder Haus der Traumwandler?

“Ich habe über deinen Traum nachgedacht, Leyara. Auch, wenn es unwahrschein­lich klingt, glaube ich, dass deine Träume mit dem Tief­schlaf der Traumwan­dler zusam­men­hän­gen kön­nten. Die Mon­ster – Traumwe­sen oder in diesem Fall Alb­traumwe­sen – haben sehr ziel­stre­big den Bere­ich abge­sucht, in welchem ich in deinen Traum ein­trat. Sie ver­fol­gten die Spur sog­ar bis zu dem Punkt, an welchem du meine Hand ergrif­f­en hast.”

Nach­den­klich sah der Traumwan­dler ins Feuer.

“Es will mir fast scheinen, als ob diese speziellen Alb­traumwe­sen Traumwan­dler auf­spüren kön­nen. Der Mann, den du bei ihnen gese­hen hast, kön­nte also ein Traumwan­dler gewe­sen sein – in sein­er Traumgestalt.”

 

Textschnipsel zu Leyara und die Traumwandler

“Du bist so hüb­sch mit dem Kleid. Bist du eine ent­führte Prinzessin?”, fragte das Mädchen.

Leyara lachte und zog die Kleine mit an den Tisch.

“Das bist du doch, oder? Eine ent­führte Prinzessin!”

Besorgt sah Leyara zu ihm hinüber. Sein recht­es Auge war immer noch geschwollen, die Farbe kaum bess­er als vor zwei Tagen. Die aufge­sprun­genen Lip­pen hat­te er fest zusammengepresst.

Nach­den­klich lag sie da, spürte das Gras unter sich, als sie eine leichte Angst überkam. Leise stand sie auf und ver­steck­te sich in einem Gebüsch. Wie in ihren anderen Träu­men zogen wenig später wieder Mon­ster an ihr vor­bei. Sie hat­ten Hörn­er und Klauen. Eines lief auf Tentakeln.

In ihrer Mitte lief ein leicht durch­scheinend ausse­hen­der Mann. Im Gegen­satz zu den Mon­stern wirk­te er wie ihre Träume vor der Reise: Schwammig, kaum greifbar.

Er wehrte sich, aber unbe­waffnet und gefes­selt war seine Gegen­wehr sinnlos.

Das Wesen sah zärtlich auf das Licht, dann riss es sein Maul auf – Geifer tropfte von den Hauern – und biss ein kleines Stückchen ab. Genüsslich kauend schloss es halb die Augen, dann war es an Leyara vorbei.

Neugierig gewor­den?

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Leyara und die Traumwesen

 

Alle Hoff­nung der Traumwan­dler ruht auf Leyaras Schul­tern. Nur eine Traumwäch­terin wie sie hat die Fähigkeit­en, den mys­ter­iösen Tief­schlaf zu been­den, der so viele Traumwan­dler ergrif­f­en hat und ihre Welt bedro­ht. Doch dafür muss sie in aller Eile ler­nen, ihre Begabung zu nutzen. Eine Her­aus­forderung, denn ger­ade das Kämpfen wider­spricht ihrer fried­fer­ti­gen Natur.
Dann ver­schwindet das Traumwe­sen, dessen Unter­stützung Leyara bish­er so viel Kraft gegeben hat. Hängt sein Ver­schwinden mit dem Tief­schlaf zusam­men? Kann Leyara ihre Bes­tim­mung erfüllen und mit ihren Gefährten die schlafend­en Traumwan­dler befreien?

Sneak Peaks

Kapitel 1

Müde fol­gte Leyara der dun­klen Gestalt durch die ver­winkel­ten Straßen von Theodor­furt. Das hastige gegessene Früh­stück hat­te sie nicht wach­er gemacht.

“Beeil dich! Wir wollen heute noch ankommen.”

Leyara riss sich zusam­men und beschle­u­nigte ihre Schritte. Unter ein­er schwach flack­ern­den Straßen­later­ne wartete der kleine, drahtige Traumwan­dler auf sie.

Nach eini­gen Minuten hat­ten sie ihr Ziel erre­icht – zumin­d­est ver­mutete Leyara das, da der Traumwan­dler vor einem Haus ste­hen geblieben war und eine Tür auf­schloss. Warmes Licht fiel auf die Straße.

Der Traumwan­dler betrat das Gebäude. Rasch fol­gte Leyara ihm. Sie standen auf den ober­sten Sitzrän­gen ein­er Kampfhalle, die der Halle in Wind­hall nicht unähn­lich war. Allerd­ings kon­nte Leyara hier keine Holzwaf­fen sehen, die an den Wän­den oder in Kör­ben auf Schüler warteten.

Ungeduldig wink­te sie der Traumwan­dler auf den Boden der Halle.

“Ältester Tim­o­theus bat mich, dich im Kampf zu unter­richt­en”, begann er und öffnete eine Klappe in der Wand­vertäfelung. Dahin­ter kamen die Waf­fen zum Vorschein, über deren Fehlen Leyara sich gewun­dert hat­te. “Ich habe meine ganz eige­nen Meth­o­d­en, her­aus­ra­gende Kämpfer auszubilden.”

Mit einem Nick­en reichte er ihr ein Holzschwert.

“Hier. Nimm es und halte es san­ft, aber bes­timmt fest. Dann schwenk es ein wenig hin und her.”

Leyara fol­gte seinen Anweisun­gen. Das Holzschw­ert war unhandlich.

“Mehr aus dem Handgelenk!”

Leyara ver­suchte, diese Auf­forderung umzuset­zen. Sie kam sich dabei lächer­lich vor. Das Holzschw­ert lag schw­er in ihrer Hand. Wie müsste es erst mit einem Met­allschw­ert sein? Das in ihrem Traum war deut­lich leichter gewesen!

“Bess­er”, sagte der Traumwan­dler wenig später und zog ein zweites Holzschw­ert her­vor. “Jet­zt gehen wir ver­schiedene Vertei­di­gungspo­si­tio­nen durch.”

Mit ruhi­gen Bewe­gun­gen zeigte er Leyara, wie sie Hiebe aus ver­schiede­nen Rich­tun­gen abblock­en kon­nte. Ins­beson­dere auf die rechte Seite legte er Wert, da sie das Schw­ert in der linken Hand führte.

“Heute üben wir das Block­en nur nach vorn, später musst du natür­lich auch in der Lage sein, seitwärts und leicht rück­wärts zu block­en. Also ver­such schon jet­zt, deine Umge­bung möglichst genau im Auge zu behalten.”

Er wieder­holte die gezeigten Vertei­di­gun­gen. Leyara ver­suchte, seine Bewe­gun­gen nachzuah­men. Als der Traumwan­dler sein Schw­ert weg­stecke, ließ Leyara den Schw­er­tarm hän­gen. Mit der recht­en Hand wis­chte sie sich den Schweiß von der Stirn.

“Gut. Jet­zt wech­selst du bitte auf Zuruf von der einen Vertei­di­gung in die andere.”

Leyara schluck­te, dann nick­te sie. Sie richtete sich auf. Das Schw­ert fühlte sich mit einem Mal noch viel mas­siger an. Die ersten Muskeln in ihrem Arm und auch das Handge­lenk beschw­erten sich schon über die unge­wohnte Belastung.

“Links unten! Mitte! Rechts unten! Rechts Mitte!”

Stolpernd kam Leyara den Auf­forderun­gen nach. Der Traumwan­dler achtete jedoch nicht auf eine exak­te Aus­führung. Leyara sah sich in ihrer Ver­mu­tung bestätigt, dass in den Traum­lan­den der Kampf anders gelehrt und geführt wurde als in den bei­den Reichen. Im Reich des Löwen hat­te sie immer wieder mal Wachen mit äußerst genauen Bewe­gun­gen exerzieren gese­hen. Der Graf hat­te seine Wachen manch­mal durch die Ortschaften geschickt, um den Ein­druck zu erweck­en, er würde sich um seine Län­dereien küm­mern. Am Hof von Köni­gin Leoni hat­te sie auch Wachen exerzieren sehen, aber nicht wirk­lich auf diese geachtet.

“Genug.”

Der Traumwan­dler warf einen Blick zu den kleinen Fen­stern im oberen Bere­ich der Halle. Helles Son­nen­licht fiel here­in. Er nahm ihr das Schw­ert aus der Hand.

Ver­schwitzt und keuchend stützte sich Leyara mit zit­tern­den Hän­den auf ihre Knie. Der Traumwan­dler nick­te, als habe sich eine Ver­mu­tung bestätigt.

“Ab mor­gen wer­den wir zuerst an dein­er Aus­dauer arbeit­en und dann mit den Übun­gen weit­er machen. Du bist für heute ent­lassen, Leyara.”

Er führte Leyara zur Tür. “Ich erwarte dich mor­gen früh wieder hier.”

“Ja, Meis­ter –?”

“Mein Name tut nichts zur Sache. Je weniger du über mich weißt, desto ein­fach­er wird es dir später fall­en, mir im Kampf gegenüberzutreten. Wenn du dich gut machst, sage ich dir meinen Namen vielle­icht, wenn deine Aus­bil­dung abgeschlossen ist. Und damit meine ich eine richtige Aus­bil­dung, nicht dieses über­stürzte Ler­nen auf­grund des Tiefschlafs!”

Damit schloss der Traumwan­dler die Tür zur Halle mit einem Knall hin­ter Leyara.

Etwas ver­wirrt sah Leyara auf die Tür. Sie riss sich los und machte sich auf den Rück­weg zu Tim­o­theus Haus. Nach eini­gen Umwe­gen kam sie endlich an. Traumwan­dler Jan erwartete sie bere­its mit ein­er Tasse Tee und einem dampfend­en Teller Eintopf.

Nach dieser Mahlzeit ging Leyara ins Studierz­im­mer. Lazar war über eine Karte gebeugt, die auf einem dun­klen Eichen­tisch lag. Der Älteste saß in einem Ses­sel, erhob sich aber müh­sam, als er Leyara sah.

“Im Gegen­satz zu unser­er Welt befind­en sich die Län­dereien der Träume in ständi­gem Wan­del”, begann Ältester Tim­o­theus direkt ohne weit­ere Ein­leitung und trat an den Tisch. “Wir haben nur eine grobe Vorstel­lung von ihrer eigentlichen Größe. Dis­tanzen und auch Land­marken verän­dern sich, wer­den größer oder klein­er. Außer­dem kommt Neues hinzu und Altes verschwindet.”

Er deutete auf die Landkarte.

“Diese Karte ist daher nur eine Richtlin­ie und wird regelmäßig angepasst. Das Prob­lem hier­bei ist, dass jed­er Men­sch die Län­dereien der Träume an einem anderen Ort betritt.”

“Kann sich der Ein­trittsort eines Men­schen selb­st auch ändern?”, fragte Leyara und beugte sich über die Karte. An eini­gen Stellen wirk­te die Zeich­nung fast aus­ge­franst. An anderen waren viele Details verze­ich­net. Ins­ge­samt wirk­te sie unfer­tig und deut­lich unge­nauer als die Karte, welche ihre Astrid auf ihre Reise mit­gegeben hatte.

“In der Regel betritt ein Men­sch immer densel­ben Ort oder nahe diesem. Es gibt wenige Aus­nah­men, beispiel­sweise wenn jemand reist oder andere tief­greifende Verän­derun­gen in seinem Leben erfährt.”

Leyara richtete sich auf. Das Ziehen im Rück­en wurde aber kaum besser.

“Also ist es nor­mal, dass ich in meinen Träu­men meist an unter­schiedlichen Orten ankam?”

Lazar betra­chtet Leyara neugierig. Als sei sie ein neues, ihm unbekan­ntes Insekt.

“Das ist sehr ungewöhn­lich, Leyara”, sagte der Älteste. “Wie ich schon sagte, kann sich der Ein­trittsort zwar ändern, aber meist geschieht das im Rah­men der genan­nten Ereignisse ein­ma­lig. Von mehr als einem Wech­sel habe ich bish­er nichts gehört. Du, Lazar?”

Lazar schwieg kurz, ehe er langsam und wohlüber­legt antwortete: “Nun, es ist nicht unmöglich, aber doch extrem sel­ten und verteilte sich dann über die gesamte Lebenss­panne. Bish­er sind nur Traumwan­dler oder ‑wächter betrof­fen gewesen.”

“Leyara zählt ja nun zu den let­zteren”, gab der Älteste zu bedenken.

Leyara sah zu Lazar hinüber, der nach einem kurzen Moment zöger­lich nickte.

“Trotz­dem sind nur sehr wenige Vorkomm­nisse bekan­nt. Ich erin­nere mich an zwei Wan­dler und einen Wächter. Es kann jedoch auch Lück­en in der Doku­men­ta­tion in unser­er Bib­lio­thek geben. Ich kenne außer­dem nicht jede Niederschrift.”

Es wirk­te, als ob Lazar bei­de Punk­te stören würden.

“Nun gut, das ist sicher­lich ein inter­es­santes The­ma – vor allem, weil es dich bet­rifft, Leyara. Aber wir soll­ten uns jet­zt trotz­dem mit den Län­dereien selb­st befassen.”

Tim­o­theus wandte sich wieder der Karte zu. Trotz ihres begin­nen­den Muskelkaters beugte sich Leyara wieder ein wenig mehr über den Tisch.

“Ich ver­mute, dass dein Bekan­nter in dieser Region wohnt.”

Er streck­te seine Hand über einen Bere­ich zwis­chen einem Wald und ein­er Ebene aus.

“Hier”, er deutete auf einen daran anschließen­den Bere­ich, “liegt die Haupt­stadt der Län­dereien. Diese Stadt verän­dert sich auch ständig, bleibt jedoch immer am sel­ben Ort.”

Leyara nick­te. Das war also die Stadt, von deren Anblick Leopold sie wegge­holt hatte.

“Zur Haupt­stadt lässt sich sagen, dass für sie sowohl Wach­s­tum als auch Verkleinerung doku­men­tiert ist. Zusät­zlich verän­dert sie ihr Ausse­hen. Manche Gelehrte ver­muten deshalb einen Zusam­men­hang zwis­chen dem Herrsch­er der Traumwe­sen und der Haupt­stadt. Das ist aber nicht belegt”, ergänzte Lazar. “Unter anderem, weil es sehr schwierig ist, etwas über diesen Herrsch­er in Erfahrung zu bringen.”

“Das Wis­sen über die Län­dereien ist haupt­säch­lich von Traumwan­dlern zusam­menge­tra­gen wor­den”, sagte Tim­o­theus. “Traumwächter haben sich sel­ten beteiligt, obwohl sie teil­weise etwas engeren Kon­takt mit Traumwe­sen hat­ten. Wobei ein Kon­takt wie bei dir und deinem Bekan­nten sehr unüblich und eher nicht angestrebt ist.” Tim­o­theus schüt­telte leicht miss­bil­li­gend den Kopf. “All­ge­mein ist der sel­tene Kon­takt zu Traumwe­sen zwar schon zum Wis­sensaus­tausch genutzt wor­den – Prob­leme lassen sich in den Län­dereien dadurch jedoch nicht lösen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass du das Kämpfen lernst. Es ist nicht nur Tra­di­tion, son­dern scheint auch die einzige Sprache zu sein, welche die Traumwe­sen verstehen.”

Mit­füh­lend sah Tim­o­theus sie an. “Dein Bekan­nter ist fre­undlich, aber das wird dir gegen den Tief­schlaf nur wenig helfen. Ver­lass dich nicht auf Traumwe­sen. Sie ver­fol­gen doch nur ihre eige­nen Ziele.”

Leyara nick­te nach­den­klich. Die bei­den Traumwan­dler hat­ten sicher­lich in viel­er­lei Hin­sicht recht, aber sie kon­nte sich nicht vorstellen, dass sie das einzige fre­undliche Traumwe­sen getrof­fen hat­te. Auf der anderen Seite war ihre Beziehung etwas sehr Per­sön­lich­es – und sicher­lich nichts, was sie so für die Nach­welt würde fes­thal­ten wollen. Sie ver­mutete, dass es anderen Traumwächtern ähn­lich ergan­gen sein kön­nte. Warum son­st soll­ten sie so wenig beige­tra­gen haben, obwohl sie die Län­dereien und ihre Bewohn­er bess­er kannten?

 

Einige Zeit später holte Meis­terin Mia Leyara ab und führte sie zu sich aufs Zimmer.

“Wir wer­den in meinen Träu­men mit den Übun­gen begin­nen, Leyara. Gemäß deinen Erzäh­lun­gen siehst du häu­fig Alb­traumwe­sen, welche wir für unsere Übun­gen nicht gebrauchen können.”

Gemütlich set­zte sich die Meis­terin in einen Korb­ses­sel. Leyara fol­gte ihrem Beispiel.

“Ich weiß nicht, wie oft du bish­er die Hil­fe eines Traumwan­dlers erhal­ten hast, Leyara”, sagte sie. “Die meis­ten Traumwan­dler leg­en ihre Hand auf die Stirn desjeni­gen, in dessen Traum sie ein­tauchen wollen.”

Leyara nick­te. So hat­te es Traumwan­dler Lukas zu Beginn ihrer Reise gemacht und auch Traumwan­d­lerin Tijana im Reich der Bärin.

“Let­ztlich ist zwar Kör­perkon­takt erforder­lich. Das Han­dau­fle­gen auf der Stirn hil­ft einem Traumwan­dler aber nur dabei, ein­schätzen zu kön­nen, ob der Hil­fs­bedürftige Fieber hat. So kön­nen sie bei Bedarf einen Heilkundi­gen hinzuziehen oder selb­st fiebersenk­ende Kräuter zur Anwen­dung bringen.”

Meis­terin Mia streck­te Leyara eine Hand ent­ge­gen, welche diese ergriff.

“Lass dich ein­fach darauf ein. So, wie du dich auf deine eige­nen Träume ein­lässt.” Die Meis­terin lächelte. “Alle Traumwan­dler ler­nen am Ende ihrer Aus­bil­dung, andere in ihre Träume mitzunehmen. Haupt­säch­lich, um andere auszu­bilden, aber darüber kann auch der traum­lose Schlaf gegeben wer­den. Achte darauf, was du fühlst und was passiert. Wenn du dies wieder­holst, wirst du selb­st bewusst das Ein­tauchen her­beiführen kön­nen. Ich werde dir mit jed­er Lehrstunde weniger beim Ein­tauchen helfen.”

Leyara schluck­te. Kurz drück­te sie die Hand der Meis­terin, um ihre Bere­itschaft zu signalisieren.

“Schließ die Augen.”

Leyara fol­gte der Auf­forderung. Sie fühlte, wie etwas an ihr zog. Erst wehrte sie sich dage­gen, ließ es dann aber geschehen. Es fühlte sich kurz so an, als ob sie über ihre Hand in Meis­terin Mias Kör­p­er ging. Und plöt­zlich spürte sie Son­nen­licht auf ihren Armen.

 

Leyara öffnete die Augen. Meis­terin Mia ging langsam über eine Wiese auf einen See zu. Leyara fol­gte ihr. Eine warme Brise wehte ihnen san­ft vom See her ent­ge­gen und trug den Geruch süßen, köstlichen Wass­er mit sich.

“Tim­o­theus und Lazar wer­den dir wenig zu den Ein­trittsorten gesagt haben”, sagte Meis­terin Mia.

“Wir hat­ten kurz darüber gesprochen”, erwiderte Leyara und trat neben Mia.

“Ah, weil das bei dir ungewöhn­lich ist.”

Leyara nick­te.

“Nun, ich will dir das sagen, was wir allen Traumwan­dlern zu Beginn ihrer Aus­bil­dung erzählen”, sagte die Meis­terin. “Jed­er Men­sch hat seinen eige­nen Ein­trittsort. Dieser wird nicht bewusst aus­gewählt, aber er ändert sich räum­lich meist nicht. Der Ein­trittsort hat meist zwei Seit­en. Eine schöne wie diese Wiese hier und eine trock­ene, karge.”

Meis­terin Mia pflück­te eine Blume, deren Blüten­blät­ter sich in ihrer Hand weit­er entfalteten.

“Da diese bei­den Orte oft sehr nah beieinan­der liegen, wird zwis­chen ihnen nicht unter­schieden und der Ein­fach­heit hal­ber nur von einem Ort gesprochen.” Sie deutete nach rechts auf einige Büsche. “Hin­ter dieser Buschrei­he liegt mein karg­er Eintrittsort.”

Mia wandte sich zu Leyara.

“Die kar­gen Land­schaften sind häu­fig der Aus­gangspunkt für Alb­träume, während die Oasen die Aus­gangspunk­te der schö­nen Träume sind. Es gibt Aus­nah­men. Bei manchen sind die schö­nen Orte der Aus­gangspunkt für Alb­träume. Manche haben wirk­lich nur einen Ein­trittsort. Jed­er dieser Orte verän­dert sich, wenn ein Träumer ihn betritt. Er passt sich der Fan­tasie und den Erleb­nis­sen des Tages an. Kaum ein Träumer kann das Ausse­hen dieses Ortes gezielt ändern.”

Meis­terin Mia wink­te Leyara zu sich auf einen umgekippten Baum. Sie ließ die Füße ins küh­le Nass des Sees hängen.

“Traumwan­dler ler­nen recht früh, dass sie ihre Träume kon­trol­lieren kön­nen. Sie kön­nen oft schon als Kind Ein­fluss auf die Geschehnisse nehmen oder aber die Umge­bung ihren Vorstel­lun­gen anpassen. Diese Fähigkeit wird während der Aus­bil­dung geschult und je mehr ein Wan­dler sie beherrscht, desto bess­er kann er später Men­schen bei ihren Alb­träu­men helfen.  Let­ztlich muss ein Wan­dler den Traum eines anderen bee­in­flussen – was sehr viel mehr Kraft und Kon­trolle erfordert als bei einem eige­nen Traum.”

Meis­terin Mia sah Leyara an.

“Selb­st ein gutes Kampfver­ständ­nis kann eine geringe Kon­trolle im Traum eines anderen nicht wirk­lich aus­gle­ichen – auch den Kampf muss man über die Kon­trolle ein­brin­gen. Daher bleiben Wan­dler, die diese Fähigkeit nur unzure­ichend beherrschen, häu­fig in den Traum­lan­den oder kehren als reine Gelehrte in die Reiche zurück. Sie unter­richt­en und berat­en, aber helfen sel­ten oder gar nicht bei Albträumen.”

Leyara nick­te. Mel­chior musste so ein Traumwan­dler gewe­sen sein, zu seinem Glück. Son­st wäre er wohl wie die anderen Traumwan­dler von Klein-West­felden im Tiefschlaf.

“Als du in Wind­hall geschlafen hast, sind mehrere Meis­ter in deinen Traum einge­taucht. Hier führt ein Wan­dler die Gruppe, oft­mals der­jenige mit der größten Fähigkeit, Kon­trolle in einem frem­den Traum zu übernehmen. Die anderen stellen ihm ihre Fähigkeit­en zur Seite und fol­gen seinem Beispiel. Sie helfen im Kampf gegen Traumwe­sen, bei der Suche oder der Anpas­sung von gewis­sen Aspek­ten im Traum, meist von gerin­ger­er Bedeu­tung als die vom führen­den Wan­dler durchge­führten Änderungen.”

Meis­terin Mia ließ den Blick über den See schweifen.

“Viele dieser Aspek­te des Wan­delns wirst du nicht oder erst spät erler­nen. Du hast eine schwere und sehr gefährliche Auf­gabe über­nom­men. Ich werde dir helfen, die Län­dereien der Träume zu erfassen. Anders, als Ältester Tim­o­theus und Lazar es kön­nen. Ich habe die Karten und Büch­er im Studierz­im­mer gese­hen. Das ist the­o­retis­ches Wis­sen, aber es wird dir nur bed­ingt helfen. Du musst ler­nen, deine Träume deinen Wün­schen anzu­passen. In den Län­dereien der Träume bist du nur so mächtig, wie du es dir selb­st vorstellen kannst.”

Mit ern­stem Blick sah Meis­terin Mia Leyara an.

“Lass nicht zu, dass begren­zte Vorstel­lungskraft dich ein­schränkt. Dein bish­eriges Wis­sen, das, was du ahnst und weißt, behin­dert dich. Auf unser­er Reise nach Theodor­furt sagtest du mir, dass du beobachtet und kom­biniert hast, woran wir Tief­schlaf fest machen. Diese Art zu Denken wird deine größte Stärke sein. Ver­giss das nie!”

Leyara nick­te.

“Gut, dann fan­gen wir jet­zt mit den Übun­gen an. Ich möchte, dass du etwas in diesem Traum verän­der­st. Etwas Kleines reicht hier. Lass ein Tier auf die Wiese kom­men, den Wind aus ein­er anderen Rich­tung wehen. Stell dir ein Werkzeug oder andere Gegen­stände vor.”

 

Kapitel 2

 

Eine Stunde später saß Leyara erschöpft in ihrem Zim­mer. Ihre Arme schmerzten vom Train­ing am Mor­gen. Ihre Augen bran­nten vom Lesen Karten und Büch­ern am Nach­mit­tag. Und ihr Kopf pochte schmerzhaft von den Konzen­tra­tionsübun­gen mit Meis­terin Mia. Dabei war es ihr nicht gelun­gen, die Auf­gaben der Traumwan­d­lerin zu erfüllen. Ger­ade mal ein Grashalm auf der Wiese hat­te sich bewegt – und auch das hätte der Wind sein können.

Aber Meis­terin Mia war nicht ent­täuscht gewe­sen. Nie­mand kon­nte in den ersten Stun­den viel in Träu­men ändern, hat­te sie erk­lärt. Ins­beson­dere nicht in frem­den und dort war Leyara gewesen.

Nach­den­klich massierte sich Leyara eine Schul­ter. Sie ver­suchte, sich zu erin­nern, wie genau sie in ihrem Traum Tim­o­theus befre­it hat­te. So ganz woll­ten die Bilder und das Geschehen aber nicht zurück­kom­men. Sie wusste, sie hat­te sich auf die Waf­fen und ihr Ziel konzen­tri­ert – und getrof­fen. Aber es war nichts Beson­deres gewe­sen. Ins­beson­dere ihren let­zten Angriff kon­nte sie sich nur schlecht ins Gedächt­nis rufen.

“Essen ist fer­tig!”, rief Jan von unten.

Frus­tri­ert schüt­telte Leyara den Kopf und ging nach unten. Am Gespräch beteiligte sie sich nicht. Jonathan beobachtete sie aufmerk­sam, beina­he besorgt. Mehr als ein schwach­es Lächeln kon­nte Leyara nicht für ihren besten Fre­und auf­brin­gen. Es schien ihn nicht zu beruhi­gen, obwohl er nichts sagte. Leyara wusste, dass ihre Entschei­dung ihn störte. Ver­mut­lich würde er später ver­suchen wollen, sie umzus­tim­men. Wenn genug passiert wäre, was er aus sein­er Sicht als Argu­ment nutzen könnte.

 

Jan weck­te Leyara früh. Rasch aß sie eine Scheibe Brot mit etwas Käse, ehe sie sich auf den Weg zum Kampf­train­ing machte. Dort wartete bere­its der Meis­ter auf sie. Nach eini­gen Dehnübun­gen ran­nten sie in aus­dauern­dem Lauf gemein­sam durch Theodor­furt. Die kalte Luft bran­nte Leyara in den Lun­gen, während der Meis­ter unbeein­druckt voran lief.

Als sie wieder bei der Train­ing­shalle anka­men, stützte sich Leyara keuchend an der Wand des Haus­es ab. Sie zit­terte leicht vor Kälte und Erschöp­fung. Der­ar­tige Übun­gen waren neu für sie, in ihrer Heimat hat­te sie sel­ten aus Spaß Sport getrieben und ihre Kraft für die tägliche Arbeit aufge­hoben. Und während ihrer Reise war die kör­per­liche Betä­ti­gung gän­zlich ander­er Natur gewesen.

“Gut. Trink einen kleinen Schluck, dann gehen wir die Übun­gen von gestern durch”, sagte der Meis­ter und wink­te sie in die Halle.

Nach­dem sie ein paar Schlucke eisi­gen Wassers getrunk­en hat­te, reichte der Meis­ter ihr ein Holzschw­ert. Erneut fol­gte Leyara seinen Anweisun­gen und ging von ein­er Vertei­di­gungspo­si­tion in die näch­ste. Der Meis­ter verbesserte sie häu­fig. Mit der Zeit und vie­len Wieder­hol­un­gen gelan­gen ihr die Übun­gen leichter. Irgend­wann nick­te der Meis­ter zufrieden. Dann zeigte er ihr ein­fache, nach vorn gerichtete Angriffe, die sie unter seinem kri­tis­chen Blick unzäh­lige Male wieder­holte. Ihre nach­lassenden Kräfte waren dabei nicht hilfreich.

Nach unge­fähr zwei Stun­den ließ der Meis­ter sie pausieren. Leyara brach regel­recht zusam­men. Während sie kleine Schlucke aus einem Wasser­schlauch trank, baute der Meis­ter eine Kampf­puppe mit aus­gestreck­ten Armen auf. Viel zu früh rief er Leyara zu sich zurück.

Als Leyara die Puppe das erste Mal traf, drehte sich diese schwungvoll, traf sie mit dem anderen Arm und schleud­erte Leyara zur Seite. Auf ihrer Stange wack­el­nd schien sie Leyara zu verhöhnen.

“Das Train­ing mit der Attrappe ist schneller als die bish­eri­gen Übun­gen. Je kräftiger du sie triff­st, desto rasch­er kommt dir der andere ‘Arm’ ent­ge­gen”, belehrte sie der Meis­ter. Er wink­te mit der Hand und forderte er sie auf, sich der Kampf­puppe erneut zu stellen.

 

Bis Jan Leyara zum Mit­tagessen abholte, hat­te Leyara es nur drei Mal geschafft, die Kampf­puppe zu pari­eren. Den darauf­fol­gen­den erneuten ‘Angriff’ hat­te sie jedoch in keinem Fall abwehren kön­nen. In den Schul­tern spürte sie die Tre­f­fer der Kampf­puppe und auf der recht­en Wange hat­ten sie eine lange Schramme. Niedergeschla­gen fol­gte sie Jan zu Tim­o­theus’ Haus.

“Die ersten Stun­den im Kamp­fun­ter­richt sind nie leicht. Und du hast eine viel inten­si­vere Beschu­lung als jed­er andere”, ver­suchte Jan sie zu ermuti­gen. “In den ersten Jahren der Aus­bil­dung haben Wan­dler üblicher­weise drei Stun­den Kamp­fun­ter­richt in der Woche. Und im ersten Jahr fast auss­chließlich ohne Attrappe, vielle­icht ein­mal gegen andere Schüler – deren Ken­nt­nis­stand natür­lich dem ihren entspricht.”

Jan legte ihr vor­sichtig eine Hand auf die Schul­ter. Leyara sah ihn an.

“Der Kampf gegen die Attrappe ist anfangs wirk­lich sehr schw­er. Er wird irgend­wann ein­fach­er, wenn man die Bewe­gun­gen der Puppe bess­er ken­nen­gel­ernt hat und sich darauf ein­stim­men kann. Dein Lehrer ist bekan­nt dafür, dass er seine Schüler diese Bewe­gun­gen selb­st erfassen lässt. Er sieht es als Übung für spätere Kämpfe, wo man auch nicht weiß, wie der Geg­n­er auf einen Angriff reagiert. Aus Erfahrung kann ich dir sagen, dass viele Kämpfer Mustern fol­gen oder bes­timmte Tak­tiken bevorzu­gen. Wenn man diese ver­ste­ht, hat man eine viel bessere Chance gegen sie.”

Leyara nick­te. Sie hoffte, dass sie sich am näch­sten Tag an diesen Rat erin­nern und die Bewe­gun­gen der Puppe bess­er ver­ste­hen würde.

In Tim­o­theus’ Haus wartete bere­its Lazar auf sie.

“Iss etwas, dann set­zen wir unsere Arbeit von gestern fort. Ältester Tim­o­theus ist beim Rat und spricht mit ihnen über dich und deine Ausbildung.”

Bek­lom­men nick­te Leyara. Lazar war ihr ein wenig unheim­lich. Er besaß großes Wis­sen, wirk­te jedoch sehr jung und uner­fahren. Am Vortag war ihr aufge­fall­en, dass Tim­o­theus immer wieder ein­griff, wenn Lazar zu the­o­retisch wurde – oder gesellschaftliche Kon­ven­tio­nen ver­let­zte. Der Unter­richt würde heute sehr anstren­gend werden.

 

Erle­ichtert seufzte Leyara, als Meis­terin Mia das Studierz­im­mer betrat. Lazar hat­te die let­zte Stunde beina­he wie in Trance Forschungsergeb­nisse rez­i­tiert. Leyara hat­te nicht ein­mal die Hälfte dessen ver­standen, was er gesagt hat­te. Trotz­dem schwirrte ihr Kopf ob der Auf­gabe, die sie über­nom­men hatte.

Irri­tiert blick­te Lazar zu Meis­terin Mia, dann erhob er sich und ver­ab­schiedete sich steif.

 

“Bitte, Leyara.”

In Meis­terin Mias Zim­mer set­zten sie sich wie am Vortag gemütlich hin.

“Wir wer­den heute wieder in meinen Traum tauchen und die Übun­gen von gestern fort­set­zen.” Mit einem Lächeln betra­chtete die Meis­terin Leyara. “Du machst dich gut, auch wenn du es nicht glauben magst. Es ist sehr schwierig, im Traum eines erfahre­nen Wan­dlers etwas zu verän­dern. Lass dich davon nicht unterkriegen.”

 

Wieder waren sie auf der kleinen Wiese am See.

“Leyara!”

Ver­wun­dert sah Leyara sich nach der leisen Stimme um. Meis­terin Mia saß entspan­nt auf dem umgestürzten Baum und schien nichts gehört zu haben.

“Leyara.”

Entschlossen stand Leyara auf. Meis­terin Mia sah sie ver­wun­dert an.

“Was ist los?”

Leyara schüt­telte nur den Kopf.

“Leyara!”

Langsam nervte die Stimme.

“LEYARA!”

Leyaras Kopf schmerzte leicht. Sie presste sich eine Hand gegen die Schläfe.

“Leyara! Was ist denn los?”

Meis­terin Mia trat zu ihr und wollte ihr die Hand auf den Arm leg­en, als Leyara die mys­ter­iöse Stimme erkannte.

Konzen­tri­ert dachte sie an die Hütte ihres Bekan­nten – und stand plöt­zlich genau davor.

“Leyara! Endlich! Ich dachte schon, du hättest mich vergessen!”

Das Traumwe­sen eilte auf sie zu und drück­te sie mit seinen drei Armen fest an sich.

“Wie ist es dir inzwis­chen ergan­gen? Bist du zu dem Traumwan­dler gekom­men? Ich habe mir Sor­gen gemacht!”

“Ich –”

“Ach, komm erst mal rein.”

Das Traumwe­sen schob sie durch die Tür in seine Hütte und dort auf sein Bett. Anschließend set­zte es Tee auf, eine Hand am Wasserkessel, eine nach dem Tee wüh­lend. Mit der drit­ten Hand strich es leicht über Leyaras Haar.

“Du siehst sehr erschöpft aus.”

“Das bin ich auch. Ich bin auf­grund unseres Tricks gut in Theodor­furt angekom­men. Dort ist der gerettete Traumwan­dler der Rat­säl­teste. Alle sind glück­lich, dass Ältester Tim­o­theus wieder wach ist.”

“Das glaube ich dir gern.”

Das Traumwe­sen set­zte sich neben Leyara. “Aber das ist keine Erk­lärung für dein Aussehen.”

Erschrock­en sah Leyara an sich hinab. An Armen und Beinen waren dort, wo kein Stoff sie ver­barg, blaue Flecke zu sehen. Als sie sich mit der Hand über die Wange streifte, spürte sie dort die Schramme vom Vor­mit­tag. All diese Dinge waren auf der Wiese bei Meis­terin Mia selt­samer­weise nicht vorhan­den gewesen.

“Ältester Tim­o­theus und der Gelehrte Lazar haben mir gesagt, ich sei ein Traumwächter. Ich ver­suche noch, zu ver­ste­hen, was das genau ist.”

“Ich hat­te es befürchtet und um unser bei­der Willen gehofft, dass dem nicht so ist.”

Leyara musterte ihren Fre­und aufmerksam.

“Traumwächter sind beson­dere Men­schen. Aber das weißt du sicher­lich schon.” Das Traumwe­sen schüt­telte den Kopf. Es seufzte und schien einen Entschluss zu fassen. “Wie viel weißt du – Wie viel wis­sen die Traumwan­dler über das Leben der Traumwesen?”

“Es gibt ver­schiedene Büch­er über euch”, set­zte Leyara an. “Aber mir wurde gesagt, dass keine dieser Arbeit­en oder auch nur Teile von ihnen durch andere Quellen belegt ist.”

“Es soll eine sehr genaue Abhand­lung in der Welt der Men­schen geben. Ich meine, der Autor wäre ein Traumwächter gewe­sen, der dies aber ver­barg. Zu sein­er Zeit gab es wohl zwei Traumwächter, welche dieselbe Krise zu bewälti­gen hat­ten”, sagte das Traumwe­sen. “Ich kann mich an den Namen lei­der nicht mehr erinnern.”

Er fuhr sich kurz durchs Haar.

“Lass es mich trotz­dem kurz erk­lären: Traumwe­sen kom­men ins Sein, wenn ein Men­sch geboren wird. Unser Sein dauert in der Regel länger als ein Men­sch lebt. Men­schen und Traumwe­sen sind durch ihre Entste­hung aber miteinan­der ver­bun­den. Manche Traumwe­sen sind sen­si­bler als andere und wer­den heftig getrof­fen, wenn ihr Men­sch stirbt oder sein Leben in den Grund­festen erschüt­tert wird. Sie wer­den dann häu­fig zu den soge­nan­nten Alb­traumwe­sen, zumin­d­est zeitweise. Let­z­tendlich trauern sie aber nur, ohne zu wis­sen, warum. Sie kön­nen zusät­zlich jedoch abhängig von Stof­fen wer­den, die diese Trauer vergessen machen –”

“Diese kleinen Lichtkügelchen, die schreien?”, unter­brach Leyara ihn.

“Unter anderem”, antwortete das Traumwe­sen erstaunt. “Woher weißt du das?”

“Ich habe Alb­traumwe­sen davon essen sehen.”

“Dann bist du sehr nah an sie herangekommen.”

Das Traumwe­sen reichte Leyara eine Tasse Tee und nahm sich selb­st eine.

“Alb­traumwe­sen kön­nen auch auf andere Arten entste­hen. Sie ver­lieren einen Fre­und unter den Traumwe­sen, erleben selb­st gravierende Änderun­gen in ihrem Leben – oder nehmen ein­fach zu viel süße Energie zu sich.”

“Süße Energie?”

“Diese schreien­den Kügelchen.” Das Traumwe­sen schwieg kurz. “Traumwe­sen kön­nen sich auf viel­er­lei Weise ernähren. Du weißt selb­st, dass ich hier Nahrung anbaue. Das ist der arbeitsin­ten­sivste Weg und ver­sorgt uns trotz­dem nicht mit allem, was wir zum Sein benöti­gen. Der ein­fach­ste Weg ist, die Energie der Men­schen als Nahrung zu nutzen. Hier­bei wer­den, vere­in­facht gesagt, die Gefüh­le der Men­schen in ihren Träu­men ‘einge­fan­gen’ und dann entste­hen diese Kügelchen.”

“Also essen sie men­schliche Gefühle?”

“Ja – und nicht nur irgendwelche Gefüh­le. Jedes Gefühl hat einen unter­schiedlichen Energiege­halt, Geschmack und so weit­er.” Das Traumwe­sen lächelte leicht. “Auch ich muss der­ar­tige Kügelchen zu mir nehmen und sie entsprechend gewin­nen – aus deinen Träumen.”

Leyara lief rot an.

“Du brauchst keine Angst zu haben. Es passiert dir nichts, dir wird nichts genom­men. Es wird nur die durch die Gefüh­le freige­set­zte Energie eingefangen.”

“Bin ich –” Leyara schluck­te. “Bin ich denn ein guter Energielieferant?”

Sie war neugierig und fühlte sich gle­ichzeit­ig etwas abgestoßen.

“Wenn es nach dem Energiege­halt geht? Das kommt auf den Blick­winkel an. Du schmeckst herb, voll­mundig. Sehr angenehm.”

Leyara ver­suchte, sich nicht von diesen Aus­sagen ängsti­gen zu lassen. Sie atmete tief durch.

“Die schreien­den Kügelchen entste­hen aus Angst, Hass, Wut. Aus Gefühlen, die Men­schen in schlecht­en Träu­men haben. Die daraus gewonnene Energie ist immer ein kurz­er, heftiger Schub. Süß. Eine Nascherei in klein­er Menge. Aber genau das macht Traumwe­sen davon abhängig. Außer­dem hält diese Energie nicht lange vor. Ein Traumwe­sen braucht also viel mehr davon als von aus­geglich­enen Gefühlen”, sagte das Traumwe­sen. Er seufzte leicht und schüt­telte bedauernd den Kopf. “Zum Teil sog­ar sehr viel mehr.”

Leyara wollte ger­ade antworten, als sie merk­te, dass ihr Kör­p­er geschüt­telt wurde.

“Ich – ich muss gehen. Ver­mut­lich wer­den die Wan­dler mit mir schimpfen.”

“Erzähl ihnen nichts von dem, was ich dir ger­ade gesagt habe. Das ist ein Wis­sen, das Wan­dler nor­maler­weise nicht haben. Du bist selb­st darauf gestoßen, daher wollte ich es dir erk­lären. Wir reden ein anderes Mal weit­er. Wir wer­den einan­der noch brauchen, ehe alles über­standen ist. Ver­trau mir!”

Er drück­te ihre Schulter.

Leyara nick­te – und öffnete die Augen.

 

Kapitel 3

 

“Leyara! Alles in Ord­nung? Was ist passiert?”

Leyara hob die Hand, um ihre Augen gegen das Licht zu schützen. Jemand zog rasch eine Gar­dine zu, sodass es nicht mehr so grell war.

Meis­terin Mia saß neben Leyara. Man hat­te sie auf das Bett gelegt. Tim­o­theus und Jan waren eben­so im Raum wie Jonathan, der ger­ade von den Fen­stern zurücktrat.

“Ja”, sagte Leyara und musste sich räus­pern. “Ja, mir geht es gut.”

“Wo warst du? Du bist plöt­zlich ein­fach verschwunden.”

“Ich sollte doch deinen Traum verän­dern”, sagte Leyara und ver­suchte von der Frage ihres Verbleibs abzulenken.

Die Traumwan­dler hat­ten Leyara direkt am Anfang des Unter­richts aufge­fordert, sie mit ihren Vor­na­men und Du anzus­prechen. Leyara hat­te sich darüber gewun­dert, da alle Traumwan­dler in Aus­bil­dung das respek­tvolle Sie und “Meis­ter” oder “Lehrer” nutzten, aber Tim­o­theus hat­te ihr erk­lärt, dass sie die Traumwäch­terin damit ehren woll­ten. Den­noch schaffte es Leyara nicht bei allen Traumwan­dlern, diese form­lose Anrede zu verwenden.

“Ja, verän­dern”, sagte Mia streng. “Nicht ein­fach verschwinden.”

“Ich –”, begann Leyara.

“Nun, wir wis­sen jet­zt, dass du auch in Träu­men ander­er reisen kannst. Das hast du ver­mut­lich gemacht?”, fragte Tim­o­theus und wartete auf Leyaras Nick­en. “Das heißt zumin­d­est, dass du Kon­trolle in Träu­men ausüben kannst. Auch wenn du es heute vielle­icht nicht mit Absicht getan hast. Jet­zt musst du ler­nen, das bewusst und ziel­gerichtet zu tun”, meinte Tim­o­theus beruhi­gend. “Ein wirk­lich­er Ortswech­sel ist eine sehr starke und für träu­mende Men­schen nicht ganz unge­fährliche Verän­derung, immer­hin ver­lassen sie dabei ihren Ein­trittsort. Die meis­ten Traumwan­dler gestal­ten die Umge­bung um, machen sie fre­undlich­er oder für den Träu­menden angenehmer, aber ein richtiger Ortswech­sel ist das nicht. Das wirst du aber auch noch ler­nen. Die Fähigkeit­en hast du!”

Leyara ließ den Kopf hän­gen. Ihr Fre­und hat­te sie gebeten, nichts aus ihrem Gespräch preiszugeben. Aber wenn sie von ihm erzählte, wür­den die Traumwan­dler wis­sen wollen, warum sie so lange dort geblieben war. Nein, es war bess­er, sie behielt den Besuch bei dem Traumwe­sen für sich. Zu ihrer Erle­ichterung fragte nie­mand, wo genau sie gewe­sen war.

“Ich war heute Nach­mit­tag beim Rat”, erzählte Tim­o­theus. “Du sollst mor­gen Vor­mit­tag vor deinem Kamp­fun­ter­richt vor­beikom­men. Die Übungszeit wird entsprechend verkürzt. Der restliche Rat hat bere­its von mir die wichtig­sten Punk­te genan­nt bekom­men und fol­gt unser­er Ein­schätzung. Sie haben dein­er Unter­weisung auch schon zuges­timmt – vor­be­haltlich der Entschei­dung des Gesam­trates, sofern die Ratsmit­glieder noch nicht in den Tief­schlaf gefall­en sind.”

“Kön­nen wir bis zu dieser Entschei­dung etwas Zeit ein­pla­nen, die ich in der Bib­lio­thek ver­brin­gen kann?”, fragte Leyara, an den Hin­weis ihres Fre­un­des denkend.

Tim­o­theus betra­chtete sie mit gerun­zel­ter Stirn.

“Lazar, Mia und ich kön­nen dich alles lehren, was du für deine Auf­gabe benötigst.”

“Das wollte ich auch nie anzweifeln, Ältester Tim­o­theus. Ich möchte gern etwas über Traumwächter erfahren. Dazu würde ich diese Zeit nutzen wollen”, erk­lärte Leyara respektvoll.

“Nun, ganz abwegig ist es nicht, dass du als Traumwäch­terin etwas über Traumwächter im All­ge­meinen ler­nen soll­test. Wir kön­nen es sicher­lich in unsere Unter­weisung mit einbeziehen.”

“Ich möchte Euch nicht zu nahetreten, Ältester”, mis­chte sich Jonathan zaghaft ein. “Aber ich denke, dass das geschrieben Wort eines Traumwächters Infor­ma­tio­nen anders über­mit­telt als Ihr es in Erzäh­lun­gen kön­nt. Nicht, weil Ihr ein schlechter Lehrer seid, son­dern, weil Ihr kein Traumwächter seid. Und vielle­icht gibt es dort Kleinigkeit­en, die wichtig sind, die Ihr aber nicht ken­nt oder auf­grund Eures Wis­sens als Traumwan­dler als nichtig erachtet.”

Dankbar lächelte Leyara ihren besten Fre­und an.

“Ich kann deine Argu­mente nicht ganz von der Hand weisen, Jonathan.”

Vol­lends überzeugt wirk­te Tim­o­theus noch nicht, als er sich an Leyara wandte.

“Wenn es dir so wichtig ist, werde ich dafür sor­gen, dass du vor dem Mit­tagessen jeden Tag eine Stunde in der Bib­lio­thek ver­brin­gen kannst. Mor­gen wird Lazar dir zeigen, wie du die weni­gen Werke der Traumwächter find­est. Sie sind häu­fig mit den Werken ander­er Autoren gemis­cht, da sie ähn­liche The­men behandeln.”

 

Nach ein­er erneut traum­losen Nacht saß Leyara zusam­men mit Tim­o­theus im Essz­im­mer. Von den anderen war noch nie­mand wach und Jan hat­te angekündigt, dass er heute erst spät da sein würde. So hat­te Leyara das Früh­stück vorbereitet.

Schweigend aßen sie. Tim­o­theus war bere­its nach ein­er hal­ben Scheibe Brot satt, ließ Leyara jedoch Zeit. Er hat­te sich zurück­gelehnt und blies vor­sichtig auf seinen heißen Tee.

Leyara bestrich sich ger­ade die dritte Scheibe Brot mit Schmelz, als Jonathan den Raum betrat.

“Du isst in let­zter Zeit deut­lich mehr, Leyara.”

“Ich brauche jedes biss­chen Energie, das ich bekom­men kann. Der Kamp­fun­ter­richt ist anstren­gend und davor lässt mich der Meis­ter noch durch Theodor­furt rennen.”

Jonathan holte sich rasch eine Tasse aus der Küche und füllte sie aus der Teekanne auf dem Tisch.

“Wenig­stens ein­er von uns bei­den lang­weilt sich nicht.”

Der Älteste sah von seinem Tee auf. “Du kön­ntest bei den Über­win­terungsvor­bere­itun­gen auf den Feldern helfen, die hier ger­ade erst begin­nen. In den Traum­lan­den wird es zwar bei weit­em nicht so kalt wie im Reich des Löwen, aber trotz­dem liegt hier regelmäßig etwas Schnee.”

Jonathan über­legte kurz, dann nick­te er.

“Dann werde ich einen der Bauern bit­ten, dich abzu­holen. Er wird dir zeigen, wo du helfen kannst.”

Jonathan nahm sich eben­falls eine Scheibe Brot und belegte sie mit Käse.

Leyara aß noch eine vierte Scheibe Brot. Dann ver­ließ sie gemein­sam mit Tim­o­theus das Haus, um den Rat aufzusuchen.

 

Ver­glichen mit Wind­hall war das Rats­ge­bäude von Theodor­furt karg zu nen­nen. Es war auf­grund der Größe der ver­wen­de­ten Steine sowie der Größe des Gebäudes an sich zwar imposant, aber die Erbauer hat­ten keine zusät­zlichen Verzierun­gen ange­bracht. Während der späteren Ver­wen­dung waren auch kein­er­lei Deko­ra­tionse­le­mente hinzuge­fügt worden.

Tim­o­theus Geh­stock hallte bei jedem Schritt laut durch die Ein­gang­shalle. Leyara fol­gte dem Ältesten einen Gang hin­unter. Tim­o­theus öffnete eine kleine Tür und ließ ihr den Vortritt.

Über­rascht blieb Leyara kurz ste­hen. In dem run­den Saal kön­nten alle Händler eines Mark­t­tages und ihre Besuch­er Platz find­en! Sie sah die Ränge nach oben. Selb­st von ganz hin­ten musste man einen guten Blick auf das Geschehen in der Mitte haben.

“Tim­o­theus!” Eine Traumwan­d­lerin trat zu Tim­o­theus, der inzwis­chen mit­tig Saal stand. In ihren Augen lag Sorge.

Rasch trat Leyara zu Tim­o­theus und bleib kurz hin­ter ihm stehen.

“Jared und Son­ja fehlen noch, dann sind wir vollständig.”

Sie wandte sich an Leyara. Ihr Lächeln wirk­te fre­undlich, aber die Fal­ten auf der Stirn woll­ten nicht dazu passen.

“Du musst Leyara sein. Her­zlich Willkom­men in Theodor­furt! Im Namen des gesamten Rates möchte ich dir für die Ret­tung von Tim­o­theus danken. Es war ein ziem­lich­er Schreck für uns, als unser Ältester in den Tief­schlaf fiel.”

Leyaras Wan­gen glühten.

“Ich habe nur getan, was ich für richtig hielt, Ehrwürdige.”

“Nana, so beschei­den. Wenn man das nur von manchen unser­er Schüler sagen könnte …”

Die Traumwan­d­lerin führte Leyara zu einem gemütlichen Stuhl, während Tim­o­theus kurz mit einem anderen Traumwan­dler sprach.

“Wir wer­den dich heute nicht darum bit­ten, deine ganze Geschichte zu erzählen”, sagte die Traumwan­d­lerin. “Wir möcht­en dich nur ein wenig ken­nen­ler­nen. Tim­o­theus hat uns bere­its von deinen Prob­le­men in Wind­hall erzählt und wir wollen ver­mei­den, dass andere vor­ein­genom­men an die Sitzung des Gesam­trates herange­hen. Daher erzähl uns nach­her ein wenig von dir, damit wir dich als Men­schen – und nicht als zukün­ftige Traumwäch­terin – ken­nen­ler­nen können.”

Leyara schluck­te, dann nick­te sie.

Ein ander­er Traumwan­dler verteilte ger­ade Tassen und reichte auch Leyara eine.

“Kräuter­tee oder Kakao?”, fragte er und hielt zwei dampfende Kan­nen hoch.

“Was ist Kakao?”

“Wenn du das nicht kennst, soll­test du es unbe­d­ingt pro­bieren. Es ist eine Spezial­ität hier in den Traum­lan­den und außer­halb wenig bekan­nt.” Der Traumwan­dler füllte ihre Tasse mit einem dick­flüs­si­gen, braunen Trank.

“Lass es dir schmecken.”

Vor­sichtig nippte Leyara an ihrem Getränk und war von der süßlichen Schwere über­rascht. Noch nie hat­te sie etwas Ver­gle­ich­bares geschmeckt.

Tim­o­theus kam auf seinen Stock gestützt zu ihr herüber.

“Wir warten nur noch auf Jared, er ist oft etwas spät dran.”

Er schnup­perte kurz.

“Ah, Kakao. Wenn es dir gefällt, denke ich, dass Jan dir die Her­stel­lung erk­lären kann. Er liebt dieses kle­brige Zeug. Es gilt als Delikatesse und ist recht schwierig zu gewin­nen. Einige Bauern arbeit­en daran, die dafür benötigten Pflanzen zu kul­tivieren. Bish­er kön­nen die Zutat­en nur von wilden Pflanzen hier in den Traum­lan­den gesam­melt werden.”

Er nick­te zu einem Stuhl hinüber.

“Ich werde mich auf meinen Platz begeben. Deine Vorstel­lung ist der erste Punkt auf der Tage­sor­d­nung. Wenn du fer­tig bist, darf­st du den Saal ver­lassen. Dein Kampflehrer weiß Bescheid und wartet draußen auf dich.”

Leyara nick­te und Tim­o­theus ging langsam zu seinem Platz hinüber.

Wenig später war auch Jared eingetrof­fen. Im Anschluss sollte Leyara über ihr Leben sprechen. Wie sie aufgewach­sen war, was sie für Erfahrun­gen gesam­melt hat­te. Ihre Wan­dler­fähigkeit­en und die Reise kamen nicht zur Sprache.

“Ich danke dir, dass du so offen mit uns gesprochen hast”, sagte eine Traumwan­d­lerin. “Dein Leben bis heute war sicher­lich nicht ein­fach. Aber wir ver­ste­hen dich jet­zt deut­lich bess­er. Das wird dir viel Erk­lärungsar­beit in der Gesam­tratssitzung abnehmen. Wir als Rat von Theodor­furt wer­den Erk­lärun­gen liefern, wenn Mit­glieder ander­er Stadträte tiefer nach­fra­gen. Du bist Befra­gun­gen nicht gewöh­nt und wir brauchen dich bei voller Stärke. Eine Befra­gung würde dich zu viel Zeit kosten.”

Die Sprecherin nick­te dem Ältesten zu.

“Es war eine sehr gute Idee von dir, Tim­o­theus, dass wir Leyara vor der Gesamt­sitzung ken­nen ler­nen. Ich gehe davon aus, dass ich für alle spreche, wenn ich sage: Deine Bedenken sind gerechtfertigt.”

Damit war Leyara ent­lassen. Nach­den­klich ver­ließ sie den Saal. Was für Bedenken?

 

Der Unter­richt war sehr anstren­gend, brachte aber aus Leyaras Sicht nur wenig Fortschritte. Die Bewe­gun­gen waren kom­plex und immer wieder ver­gaß sie die Rei­hen­fol­gen. Irgend­wie hat­te sie sich das leichter vorgestellt. Erle­ichtert fol­gte sie Lazar zur Bib­lio­thek, als dieser sie nach zwei Stun­den abholte.

Als Lazar sie über den Vorhof ins Gebäude führte, wurde ihr bewusst, wie viel Wis­sen hier auf­be­wahrt wurde. Die Bib­lio­thek von Wind­hall hätte mehrfach in diesem einen Gebäude Platz gefun­den – und es schien mehrere Nebenge­bäude zu geben.

“Theodor­furts Bib­lio­thek gehört zu den größten Bib­lio­theken Mor­eias. Es sind viele Schutzmech­a­nis­men instal­liert wor­den, um den Ver­lust von Werken durch Unfälle zu ver­mei­den”, sagte Lazar.

Leyara fragte sich, was für Unfälle Lazar meinte. Sie traute sich aber nicht, ihn zu fra­gen. Er würde nur wieder unun­ter­brochen reden und ohne jeman­den, der seinen Wortschwall zügelte…

Lazar grüßte den Traumwan­dler, der am Emp­fang saß.

“Der Rat hat dir auf Tim­o­theus Bitte hin bere­its gestern vollen Zugang gewährt. Ich werde dich daher allen Bib­lio­thekaren vorstellen. Du kannst sie jed­erzeit um Hil­fe bitten.”

Lazar eilte einen Gang hin­unter. Leyara gab sich Mühe, Schritt zu halten.

“Wichtig ist, dass du die Werke immer in den dafür vorge­se­henen Leseräu­men studierst. Dort gibt es aus­re­ichend Licht und ein niedriges Bran­drisiko. Schließ immer alle Türen hin­ter dir. Wenn du irgend­wo eine offene Tür siehst, dann mach sie zu. Ihr Holz ist der­ar­tig aus­gewählt, dass auch ein Brand in einem angren­zen­den Raum sie nicht zer­stören kann. Es gibt natür­lich noch mehr Maß­nah­men allein die Türen betr­e­f­fend”, dozierte Lazar in sein­er trock­e­nen Art, der aus­nahm­sweise leichte Begeis­terung anzuhören war.

Leyara genoss die ruhige, acht­same Atmo­sphäre der Bib­lio­thek, während Lazar sie durch die Säle führte. Gele­gentlich sah sie einen Traumwan­dler, der vor­sichtig ein Buch in einen Leser­aum trug oder es zurück an seinen Platz brachte.

“Theodor­furt ist die Haup­tquelle für alle anderen Bib­lio­theken in den Traum­lan­den, was neue Büch­er anbe­langt”, erk­lärte Lazar und deutete auf einige Fen­ster. Leyara blick­te hin­durch und sah Traumwan­dler, die in lan­gen Rei­hen saßen und Büch­er abzuschreiben schienen.

“Hier ver­vol­lkomm­nen viele Traumwan­dler ihre Fähigkeit zu schreiben”, fuhr Lazar fort. “Nur die sauber­sten Abschriften wer­den in andere Bib­lio­theken des Lan­des oder gar in eines der Reiche geschickt. Je unsauber­er, desto eher lan­det das Buch bei den Auszu­bilden­den oder muss gar entsorgt wer­den, da es nicht les­bar ist. Viele Traumwan­dler ver­brin­gen wenig­stens sechs Monate, manche aber auch deut­lich über ein Jahr in diesen Schreib­stuben. Aber jed­er will das Gefühl erleben, wenn seine Abschrift als gut genug emp­fun­den wird, in eine andere Bib­lio­thek zu gehen – erst dann darf er auch seinen Namen selb­st unter den des Autoren setzen.”

 

Leseprobe

Band 2 — Leyara und die Traumwesen

Hier kannst du einen Blick in das erste Kapi­tel werfen.

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Das ist Moreia

Das sagen meine Leser

Leyara, die Haupt­fig­ur dieses tollen Buch­es, macht eine Reise zu den Traum­lan­den, die immer mehr auch eine Reise zu sich selb­st wird. Die span­nung wächst mit ihrer Entwick­lung und am Ende…

… nur nicht spoilern.

Bleibt nur eine Frage: Wo ist Band 2?

Span­nung erzeugt die Mis­chung aus Reise­bericht und den mys­tisch anmu­ten­den Träu­men (die haben mir beson­ders gut gefallen). 

Wird Leyara den Traumwan­dlern helfen kön­nen? Wäre Band 2 der Trilo­gie schon ver­füg­bar, ich würde ihn mir sofort kaufen. 
Dau­men hoch!

Man merkt schon, dass in diesem Band Leyara sich weit­er entwick­elt hat.

Ich fand den zweit­en Teil auch wieder sehr span­nend und fes­sel­nd. Sehr schöne Charak­tere. Man kann sich gut in sie hinein­ver­set­zten. Lei­der muss ich jet­zt bis zum Som­mer warten, bis der dritte Teil erscheint.

Das Buch ist so zusagen ein Fan­ta­syreise­bericht. Die zwei bereisen mehrere Län­der und dabei kommt Leyaras Gabe nach und nach zum Vorschein. Die Erzäh­lun­gen der Träume haben mir sehr gut gefall­en. Eine dur­chaus span­nende Geschichte. Ich bin ges­pan­nt, wie es in Band zwei weitergeht.

Toller erster Teil!

Neugierig gewor­den?

Erhältlich bei Amazon

Leyara und der König der Traumwesen

 

Leyara war erfol­gre­ich: Der Tief­schlaf ist been­det und die Traumwan­dler sind gerettet! Doch statt Leyaras und Amys Tat­en zu loben, verurteilt der Rat ihr unkon­ven­tionelles Vorge­hen. Er ver­dammt Leyara zur Heimat­losigkeit und ver­wehrt Amy die Arbeit als Traumwandlerin.

In den Län­dereien der Träume ist die Krise zudem noch lange nicht vorüber: Die über­lebenswichtige Gefühlsen­ergie wird immer knap­per, die Traumwan­dler mis­sacht­en das Abkom­men mit den Traumwe­sen und unter den Anhängern des alten Königs herrschen Unruhen.

Auf der Suche nach ein­er Heimat und zur Ret­tung ihrer Fre­unde beg­ibt sich Leyara auf eine Reise ins Ungewisse. Wird es Leyara gelin­gen, den Traumwe­sen ohne Unter­stützung durch die Wan­dler zu helfen? Oder beste­ht noch Hoff­nung für ein neues Bündnis?

 

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Band 3 — Leyara und der König der Traumwesen

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Psst … das wird noch nicht verraten

Kapitel 1

Drei Tage waren seit der Ratssitzung ver­gan­gen. Jen­er Sitzung der Traumwan­dler, die Leyaras und Amys Zukun­ft been­det hat­te, ehe sie richtig begonnen hat­te. Weil den Ratsmit­gliedern einen­gende Tra­di­tio­nen zu wichtig waren und sie Verän­derun­gen nicht annehmen wollten.

Mit einem Seufzen stand Leyara auf. Sie klappte das Buch zu, in dem sie bis eben gele­sen hat­te, und trug es zurück an seinen Platz. Amys Schreib­stunde müsste inzwis­chen vor­bei sein. Hof­fentlich hat­te sie sich dies­mal mehr angestrengt.

Leyara fand Amy vor der Schreib­stube mit einem anderen Traumwan­dler. Die bei­den disku­tierten leise, aber hitzig.

“Ah, Leyara!” Amy ergriff Leyaras Arm und wollte sie fortziehen.

“Alizia Myna!”, sagte der Traumwan­dler. “Du soll­test wirk­lich an der Schreibprü­fung in zwei Tagen teilnehmen.”

Amy wink­te nur. Leyara nick­te dem Traumwan­dler zu, ehe sie hin­ter Amy her stolperte. Er meinte es doch nur gut.

“Du kannst die Prü­fung so bald wieder­holen?”, fragte Leyara.

“Er fing heute plöt­zlich damit an.” Amy ver­langsamte ihre Schritte. “Aber wenn ich nicht als Traumwan­dler arbeit­en darf, welchen Sinn hat das alles dann?”

“Du soll­test die Prü­fung trotz­dem able­gen!” Leyara warf einen Blick auf ihre Fre­undin. “Danach wärst du voll aus­ge­bildet. Das ist viel wert.”

“Ach, ich weiß nicht.” Amy schüt­telte den Kopf und ließ die Schul­tern hängen.

“Lass uns zu Sina gehen”, schlug Leyara vor. Sie hoffte, die Bäck­erin kön­nte Amy auf­muntern. Die Besuche hat­te zwar in den let­zten Tagen nicht viel geholfen, aber es war bess­er als in der Bib­lio­thek zu sitzen. Irgend­wann würde Lazar Leyara wieder darum bit­ten, ihre Geschichte zu Papi­er zu brin­gen. Damit hat­te sie noch nicht begonnen. Sie kon­nte sich kaum vorstellen, dass die Traumwan­dler ihre Geschichte wirk­lich in die Bib­lio­thek aufnehmen wür­den. Und wozu dann die Mühe? Schreiben war anstren­gend und oft musste sie so lange rät­seln, wie ein Wort buch­sta­biert wurde, bis sie den Satz vergessen hat­te, den sie hat­te for­mulieren wollen.

 

In der Back­stube begrüßte Sina sie fre­undlich und schob sie weit­er hinein. Auf einem Tisch standen schon zwei dampfende Tassen bere­it. Leyara nahm sich eine davon und set­zte sich auf einen Schemel.

Sina stellte sich wieder an ihren Arbeit­stisch und nahm Teig aus ein­er Schüs­sel, den sie dann knetete. “Das kleine Gäste­haus am Fluss wurde herg­erichtet”, erzählte sie. “Der Rat scheint Gäste zu erwarten.”

Leyara nahm einen Schluck und genoss die schwere Süße des Kakaos. Was inter­essierten sie die Gäste des Rates?

Amy legte den Kopf schief. “Das Haus, in dem Klara und Mario gewohnt haben, ehe sie abgereist sind?”

Sina nick­te. “Ich frage mich, ob auch dies­mal wieder jemand mit den Gästen abreist.”

“Sind denn zuvor schon Bewohn­er mit ihnen gegan­gen? Ich kann mich nur an Klara und Mario erin­nern”, fragte Amy.

“Meist reisen sie ohne Begleitung wieder ab”, sagte Sina und formte kleine Gebäckstücke.

“Und wohin reisen sie?”, fragte Leyara.

Amy zuck­te mit den Schul­tern. “Das habe ich Klara damals auch gefragt. Aber sie hat es mir nicht gesagt.”

“Der Rat weiß es vielle­icht”, sagte Sina. “Aber er sagt nie jeman­dem etwas.” Sie nahm das Back­blech auf und trug es zum Ofen. “Über die Jahre sind immer mal wieder junge Traumwan­dler mit ihnen abgereist. Manch­mal auch andere.” Sina schloss die Ofen­tür. “Vielle­icht geht es um ein Pro­jekt des Rates? Wer weiß das schon.”

Nach­den­klich beobachtete Leyara, wie Sina das näch­ste Back­blech füllte. Nun war ihre Neugierde doch geweckt. Wer waren diese Gäste? Wohin bracht­en sie diejeni­gen, die mit ihnen gin­gen? Sie schüt­telte den Kopf. All dies war für sie nicht von Bedeu­tung. Selb­st wenn der Rat Unternehmungen plante, warum sollte er dabei aus­gerech­net sie mitberücksichtigen?

“Ihr soll­tet wirk­lich noch ein­mal mit dem Rat sprechen”, meinte Sina plötzlich.

“Das hat vor drei Tagen auch nichts gebracht”, wandte Amy ein.

“Es wird eine Lösung für euch geben”, sagte Sina mit fes­ter Stimme.

“Aber was für eine?” Amy klang verzweifelt. “Soll ich hier als Bib­lio­thekarin ver­sauern? Ich möchte Men­schen helfen! Oder forschen! Und was ist mit Leyara?”

Amy deutete auf Leyara und warf dabei beina­he ihre Kakao­tasse um. “Sie hat alles riskiert. Und während ich zumin­d­est eine Aus­bil­dung besitze und hier Arbeit aufnehmen kön­nte, hat sie doch gar nichts.”

“Ich weiß.” Sina schüt­telte trau­rig den Kopf. Sie holte die Gebäck­stücke aus dem Ofen. Das zweite Blech schob sie nicht mehr hinein, son­dern deck­te es mit einem Tuch ab. Dann nahm sie ihre Schürze ab. “Ich muss noch Gebäck aus­liefern. Bleibt ruhig hier sitzen und trinkt euren Kakao aus.”

Sina ver­ließ das Haus.

Leyara sah Amy an. “Es tut mir so schreck­lich leid, dass ich dir deine Zukun­ft kaputt gemacht habe!”

“Ich bin dir gefol­gt, Leyara. Anfangs, weil ich dir helfen sollte. Aber was du getan hast, was du mir gezeigt hast …” Amy schüt­telte den Kopf. “Das hat mich überzeugt. Und ich wusste, dass dein Vorge­hen das Richtige ist, egal was der Rat hin­ter­her sagte. Wir haben bei­de unser Leben riskiert. Und ja, der Kampf, den ich mit den Traumwe­sen führte, war gefährlich.”

Amy nahm einen Schluck Kakao, ehe sie fort­fuhr: “Ypsal hat­te mir erzählt, dass es nicht unge­fährlich ist, lange in den Län­dereien zu bleiben. Traumwan­dler, welche sich in den Län­dereien sehr zuhause fühlen, kön­nen dort auch ver­let­zt wer­den – ihre geträumten Kör­p­er – und müssen heilen. Und falls sie den Wun­den erliegen oder getötet wer­den, kann es vorkom­men, dass sie nicht mehr erwachen. Bei Wan­dlern, die ständig in Verbindung mit ihrem Kör­p­er ste­hen, kann das nicht passieren.”

Erschrock­en sah Leyara Amy an. Dann hat­te sie unwissentlich das Leben ihrer Fre­undin gefährdet! “Wirk­lich? Amy, wenn ich das gewusst hätte …”

“Wir haben das einzige Richtige getan, Leyara. Daran darf­st du nie zweifeln.” Amy legte eine Hand auf Leyaras Unter­arm. “Und wir alle, Traumwe­sen sowie Traumwan­dler, sind dir aus Überzeu­gung gefol­gt. Weil sie an dich glaubten. Für jeden von ihnen warst du eine Fre­undin, du hast nie unter­schieden zwis­chen Traumwan­dler und Traumwe­sen. Das macht dich so beson­ders, selb­st im Ver­gle­ich zu Orakyl.”

Leyara ver­suchte zu lächeln und nick­te Amy zu. Der Schreck hat­te sie tief getrof­fen. Amys Worte kon­nten das nur wenig lin­dern. Was wäre, wenn alles anders gekom­men wäre?

 

Einige Tage später wurde Leyara zum Rat gerufen. Sie war unsich­er, ob sie der Ein­ladung fol­gen sollte, entschloss sich dann aber dafür. Sie hat­te ja son­st nichts zu tun.

Der Rat war fast vol­lzäh­lig, als Leyara in den Saal geführt wurde. Tim­o­theus saß nicht an seinem üblichen Platz, son­dern etwas abseits. In der ersten Rei­he saß ein Traumwan­dler, den Leyara noch nie gese­hen hat­te. Er erhob sich und trat auf sie zu.

“Traumwäch­terin Leyara!”, grüßte er sie. “Ich freue mich, Euch endlich per­sön­lich ken­nen zu ler­nen. Als Ihr und Eure Ver­bün­de­ten mich in den Län­dereien der Träume befre­it habt, kon­nte ich Euch nicht mehr danken, ehe ich erwachte. Ich bin Ratsmit­glied Justus.”

Leyara betra­chtete den Traumwan­dler neugierig. Er wirk­te anders als jed­er Wan­dler, den sie bish­er gese­hen hat­te. Seine dun­kle, ledrige Haut ließ ver­muten, dass er viel Zeit im Freien verbrachte.

“Bitte, set­zt euch!”, forderte Ratsmit­glied Son­ja alle auf, ehe Leyara antworten kon­nte. “Ruhe!”

Langsam begaben sich alle an ihren Platz, die leisen Gespräche wur­den allmäh­lich beendet.

“Gut.” Traumwan­d­lerin Sina wandte sich an den Rat. “Dann kön­nen wir jet­zt zum näch­sten Punkt auf der Tage­sor­d­nung über gehen. Danke, dass du gekom­men bist, Leyara.”

Ratsmit­glied Son­ja sah zum Ältesten Tim­o­theus hinüber, dann erteilte sie Ratsmit­glied Will­mut das Wort.

“Danke, Son­ja”, sagte Will­mut und erhob sich. “Lass mich dir ein wenig zur Geografie unser­er Welt erzählen, Leyara.”

Leyara unter­drück­te ein Seufzen. Geografie kon­nte sie auch in der Bib­lio­thek ler­nen. Da Will­mut aber auch ein­er ihrer Ver­bün­de­ten in den Län­dereien gewe­sen war und nie etwas ohne Grund getan hat­te, hörte sie ihm trotz­dem aufmerk­sam zu.

“Wie du weißt, liegt das Reich des Löwen im Nor­den.” Will­mut malte mit ein­er Hand die Form des Reich­es in die Luft. “Nördlich­er ist nur die Eiswüste, welche unbe­wohn­bar ist. Im Osten gren­zt das Reich des Löwen an einen Aus­läufer der Mauer. Südlich des Reich­es des Löwen befind­et sich das Reich der Bärin, welch­es sich zwis­chen dem Aus­läufer der Mauer und der Mauer selb­st auch ein Stück in den Nor­den erstreckt. Bei­de Reiche haben etwa die gle­iche Größe und trotz­dem das Reich der Bärin viel gebir­giges Gebi­et enthält, sind bei­de Reiche unge­fähr gle­ich produktiv.”

Will­mut holte kurz Luft, dann fuhr er fort, eine Land­karte in die Luft zu malen. “Die Traum­lande liegen südlich des Reich­es der Bärin und sind frucht­bar­er als die bei­den anderen Reiche. Daher kön­nen wir hier sehr gut leben und ohne großen Aufwand neue Traumwan­dler aus­bilden. Südlich der Traum­lande liegt eine Wüste, und dahin­ter das Meer, das alle Reiche im West­en und die Traum­lande auch im Osten umschließt.”

Er sah Leyara aufmerk­sam an. “In gewis­sem Maße wirst du das bere­its gewusst haben.” Als Leyara nick­te, fuhr er fort: “Viele denken, dass dies alle Län­der sind, die Platz auf der Karte von Mor­eia haben. Aber das stimmt nicht. Es gibt ein viertes Land: Anderás.”

Leyara schnappte nach Luft. Warum offen­barte der Rat ihr das? Ihr fie­len die Gerüchte ein, von denen Sina erzählt hat­te. Kon­nte das die Lösung sein? Für sie und Amy?

Leyara blendete den restlichen Rat aus und sah ges­pan­nt auf Will­mut. Sie hat­te Fra­gen, wollte ihn aber nicht unter­brechen. Das mochte er nicht. Er würde ihr bes­timmt noch Zeit geben, Fra­gen zu stellen.

“Anderás ist im Ver­gle­ich zu allen anderen Län­dern recht dünn besiedelt. Mehr kann ich dir lei­der nicht sagen.” Ratsmit­glied Will­mut sah hinüber zu Ratsmit­glied Jus­tus. “Anderás hat uns um die Entsendung neuer Traumwan­dler gebeten, da zu wenige Kinder in den let­zten Jahren die Fähigkeit zu wan­deln gezeigt haben. Auch wenn du keine aus­ge­bildete Wan­d­lerin bist, möchte der Rat dir auf­grund von deinen Tat­en anbi­eten, nach Anderás zu reisen. Du hast bis mor­gen Zeit, dich zu entschei­den. Teile deine Entschei­dung bitte Ratsmit­glied Jus­tus mit.”

Leyara saß wie betäubt auf ihrem Stuhl. Was war Anderás für ein Land? Wieso sagte Will­mut nicht mehr dazu? Wie sollte sie entschei­den, ohne Näheres zu wis­sen? Aber war nicht alles bess­er, als die Rück­kehr ins Reich des Löwen? Hat­te sie denn eine wirk­liche Wahl? Kon­nte etwas schlim­mer sein, als sich wieder unterord­nen zu müssen? Traumwan­dler Jus­tus hat­te einen fre­undlichen Ein­druck gemacht. Vielle­icht, ja, vielle­icht war dieses Aben­teuer ihre Möglichkeit, glück­lich zu wer­den. Anson­sten kon­nte sie immer noch wie Orakyl in den Län­dereien wohnen.

“Ich werde nach Anderás reisen”, sagte sie mit fes­ter Stimme und schob den Gedanken an ihre Mut­ter bei­seite, schloss ihn tief in sich ein.

Ratsmit­glied Jus­tus strahlte über das ganze Gesicht.

“Gut, dann ist das beschlossen”, sagte Will­mut. Er klang erle­ichtert. “Ich möchte dir gern im Namen des gesamten Rates mit­teilen, dass wir dir gern andere Optio­nen als diese ange­boten hät­ten. Die Umstände erlauben es lei­der nicht.”

Leyara sah, dass einige Ratsmit­glieder nicht ger­ade glück­lich über diese Aus­sage waren. Sie wusste, dass manche ihre Tat­en unter­stützen und andere sie dafür verurteil­ten. Bei­de Grup­pen kon­nten mit dieser Lösung nicht ein­ver­standen sein.

“Bitte such deine Sachen zusam­men”, sagte Will­mut. Er lächelte Leyara auf­munternd an. “Ratsmit­glied Jus­tus wird dich in ein­er Stunde beim Haus des Ältesten Tim­o­theus abholen.”

Leyara nick­te, dann erhob sie sich und ver­ließ das Ratsgebäude.

 

In ihrem Zim­mer sam­melte sie ihre Sachen zusam­men. Viel war es nicht. Die meis­ten ihrer Botin­nen­klei­der waren im Reich der Bärin ein­be­hal­ten wor­den. Zuvor hat­te Astrid schon den Großteil der Klei­der getauscht. Und in den Traum­lan­den war sie nicht lange genug gewe­sen, um neue Dinge zu benöti­gen. Der Stapel belief sich daher auf zwei Hosen, vier Hem­den unter­schiedlich­er Machart und Farbe sowie Unter­wäsche. Dazu legte sie ihre weiche Haar­bürste. Und ihre größten Schätze: Das Buch von Astrid und die Karte. Rasch pack­te sie alles in einen Ruck­sack. An diesem befes­tigte sie den led­er­nen Schlaf­sack und die Reisekochuten­silien, die ihr geblieben waren. Jonathan, von dem sie sich nicht mehr hat­te ver­ab­schieden kön­nen, hat­te den Großteil des ursprünglichen Reisegepäcks zurückgelassen.

Leyara ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Er war ihr eine Heimat gewor­den – und irgend­wie auch nicht. Seit dem Ende des Tief­schlafs benahm sich Ältester Tim­o­theus ihr gegenüber so ablehnend, sodass sie froh war, aus seinem Haus auszuziehen.

Es klopfte an der Tür und Amy steck­te den Kopf herein.

“Müsstest du nicht in dein­er Lernein­heit sein?”

“Ich hat­te heute Mor­gen eine vorge­zo­gene Prü­fung … Und habe sie bestanden!”

Ein strahlen­des Grin­sen bre­it­ete auf Amys Gesicht aus.

“Ich grat­uliere dir, Amy! Das freut mich!”

“Und du? Willst du uns ver­lassen?” Amy musterte den Rucksack.

“Ich war vorhin beim Rat”, erk­lärte Leyara. “Sie haben eine Lösung für mich gefun­den. Ich werde in Kürze von Ratsmit­glied Jus­tus abgeholt.”

“Du auch?”

Verblüfft sah Leyara Amy an.

Die strahlte. “Dann haben sie dir auch ange­boten, nach Anderás zu gehen?”

“Ja. Weißt du, wo Anderás ist? Wie es ist?”

“Nein, ich weiß gar nichts, außer dass sie Traumwan­dler suchen und es ihnen dort rel­a­tiv egal ist, wenn man unkon­ven­tionell vorge­ht. Man darf nur keine Vorgeschichte haben, wie Arthur sie inzwis­chen hat. Wurde mir in der Sitzung mit­geteilt. Wegen mein­er Zusage wurde die Prü­fung vorgezogen.”

“Dann haben wir bei­de ein­er ungewis­sen Zukun­ft zugestimmt.”

“Alles ist bess­er, als kein Traumwan­dler sein zu dürfen!”

“Wollen wir es hof­fen.” Leyara schul­terte ihren Ruck­sack und trat auf den Flur. Amy stand reise­fer­tig vor ihr und hob ger­ade einen großen Ruck­sack hoch. Vor ihrem Zim­mer lagen mehrere große, schwere Taschen.

“Was hast du denn alles eingepackt? Da brauchen wir ja einen Kar­ren nur für dein Gepäck!”

Amy sah Leyara erstaunt an. “Wieso?”

“Das kannst du doch nie und nim­mer auf deinem Rück­en oder einem Pferd transportieren.”

Amy schüt­telte den Kopf. “Und wo sind deine Sachen? Nur der Ruck­sack? Das kommt mir so wenig vor.”

“Ja, nur der Ruck­sack. Ich habe nie viel besessen und es ist auf der Reise nicht mehr geworden.”

“Amy? Leyara?” Ein angenehmer Bari­ton war von unten zu hören. “Seid ihr fer­tig mit packen?”

“Ja, wir kom­men”, rief Leyara.

Sie griff sich zwei von Amys Taschen und schleppte sie die Treppe hin­unter. Im Flur standen bere­its zwei Taschen. Amy stolperte ihr hinterher.

Ratsmit­glied Jus­tus erwartete sie.

“Beeilt euch, ich will in der Gas­ther­berge ankom­men, ehe Ältester Tim­o­theus daheim ist. Rats­frau Son­ja hält ihn eine kleine Weile auf, aber lange wird das nicht dauern.” Er sah sich das Gepäck an. Wort­los ergriff er die zwei Taschen, die im Flur standen. Anschließend führte er sie mit raschen Schrit­ten durch Theodor­furt. Leyara kon­nte kaum Schritt hal­ten und auch Amy keuchte schw­er, als er ein kleines Häuschen in einem nahe der Furt gele­ge­nen Stadt­teil ansteuerte.

“Diese Her­berge ist für die Besuch­er aus Anderás gedacht”, erk­lärte er und öffnete die Tür. “Wir wer­den in zwei Tagen auf­brechen. Bis dahin müssen wir euch mit dem Nötig­sten ver­sor­gen, damit wir die Mauer über­queren können.”

“Die Mauer?”, fragte Amy ver­dutzt. Sie ließ ihre Taschen zu Boden fall­en. Leyara fol­gte dem Beispiel. Das Gewicht loszuw­er­den, tat gut.

“Ja, Anderás liegt östlich der Mauer, geschützt vor den Unbilden der Natur und der sich ständig stre­i­t­en­den Reiche. Im let­zten Jahr ist ja wieder ein Krieg aus­ge­brochen, auch wenn zu ver­muten ist, dass er jet­zt nach Ende des Tief­schlafs langsam eingedämmt wird.”

Ratsmit­glied Jus­tus sah die Gepäck­stücke an. “Ihr werdet euch auch von eini­gen Din­gen tren­nen müssen. Wir kön­nen lei­der nur wenige per­sön­liche Dinge mit­nehmen, auch weil ihr noch Aus­rüs­tung für die Reise benötigt.”

Amy seufzte und sah auf ihre Taschen.

“Ich zeige euch erst mal die Zim­mer, in denen ihr schlafen werdet. Und nen­nt mich bitte ein­fach Jus­tus, wenn wir unter uns sind.”

Auf dem Weg zu den Kam­mern zeigte er ihnen eine gemütliche Küche. In den Kam­mern selb­st fand nicht mehr als ein Bett und ein klein­er Schrank Platz.

Leyara stellte ihren Ruck­sack auf ihrem Bett ab. Da Amy darauf bestand, ihr Gepäck selb­st in ihre Kam­mer zu schlep­pen, ging Leyara zu Jus­tus in die Küche.

“Schon fer­tig?”, fragte Justus.

“Ich besitze nicht viel”, erk­lärte Leyara. “Die Taschen gehören alle Amy.”

Jus­tus schmun­zelte. “Vor unser­er Abreise wird dein Gepäck noch mehr wer­den. Ihr bei­de braucht gefüt­terte Klei­dung, Berg­steig­er­aus­rüs­tung und Schneeschuhe. Es fängt zwar in den Traum­lan­den inzwis­chen schon an zu tauen, aber in der Mauer herrscht noch tief­ster Winter.”

“Und in Anderás?“Leyara war froh, endlich ihre Fra­gen stellen zu können.

“Ich erzäh­le von Anderás, sobald alle da sind. Ein weit­er­er Traumwan­dler, der ger­ade die Aus­bil­dung abgeschlossen hat, ist bere­its mit meinen bei­den Begleit­ern unter­wegs, um seine Aus­rüs­tung zu besor­gen. Er weiß auch noch nichts über eure neue Heimat.”

Jus­tus schwieg kurz. Dann sagte er: “Lazar bat mich, dich an deine Aufze­ich­nun­gen zu erin­nern. Ich ver­sprach ihm, dass du diese in Anderás abschließen würdest und wir ihm eine Abschrift zukom­men lassen würden.”

Dankbar nick­te Leyara. Das ver­schaffte ihr mehr Zeit. Aber ver­mut­lich würde sie trotz­dem ihr ganzes Leben dafür brauchen. Ob das für Lazar früh genug war? Recht hat­te er ja, ihr Wis­sen kon­nte für zukün­ftige Traumwächter wichtig werden…

 

Draußen däm­merte es bere­its, als zwei kräftige Män­ner durch die Tür trat­en. Im Schlepp­tau hat­ten sie einen sehr schlanken, großen Traumwan­dler, der unter seinen Päckchen schwankte.

“Hal­lo Jus­tus!”, rief ein­er der Männer.

“Guten Abend, Bri­an”, erwiderte dieser.

“Ah, zwei weit­ere Neulinge!” Bri­an beäugte Amy und Leyara neugierig.

“Darf ich vorstellen?” Jus­tus zeigte erst auf Amy und dann auf Leyara, die am Tisch saßen und Tee tranken. “Traumwan­d­lerin Alizia Myna und Traumwäch­terin Leyara. Und dies sind Bri­an, Logan und Traumwan­dler Thilo.”

“Traumwäch­terin? Die Traumwäch­terin?” Der zweite Mann drängte sich an Bri­an vor­bei, um die Frauen in Augen­schein zu nehmen.

“Ja, Logan, die Traumwäch­terin, die den Tief­schlaf been­det hat”, antwortete Justus.

“Ohne Amy – Alizia Myna – hätte ich es nicht geschafft”, wiegelte Leyara ab.

“Wir bekom­men bei­de Befreierin­nen der Traumwan­dler? Wen musstest du dafür bestechen, Jus­tus?”, fragte Logan begeistert.

“Sie woll­ten uns loswer­den”, gab Amy klein­laut zu. Sie set­zte an, etwas zu hinzuzufü­gen, aber Leyara unter­brach sie.

“Wir haben uns bei unseren Aktiv­itäten in den Län­dereien der Träume nicht an Regeln und Tra­di­tio­nen gehal­ten, son­dern einen ganz eige­nen Weg gefun­den. Und das fand der Rat nicht gut”, erk­lärte sie schnell. Amys Worte hat­ten gek­lun­gen, als hät­ten sie etwas Ver­w­er­flich­es getan, und sie wollte nicht schon am Anfang einen schlecht­en Ein­druck erwecken.

“Ich glaube, dann passt ihr gut zu Anderás.” Mit diesen Worten schloss Jus­tus das The­ma ab. Er wandte sich an Bri­an und Logan. “Habt ihr Thi­lo gut ausgestattet?”

“Ja, haben wir”, Bri­an wandte sich an den jun­gen Mann hin­ter ihm. “Bring doch alles auf deine Kam­mer. Ich zeige dir mor­gen, wie du deinen Ruck­sack für die Reise am besten packst.”

Thi­lo nick­te, dann schleppte er seine Einkäufe die Treppe hinauf.

“Ich brauche deine Hil­fe mor­gen auch, Bri­an, um die Hab­seligkeit­en von Alizia Myna zu sortieren. Und Logan, kön­ntest du vielle­icht Leyara helfen?”

Als Amy und Leyara sich ansa­hen, lächelte er nach­sichtig. “Keine Sorge, Bri­an und Logan wer­den nicht eure Unterklei­der durch­wühlen. Sie brin­gen schon seit vie­len Jahren Leute über die Mauer und helfen allen, ihre Taschen für die Reise zu packen.”

“Bitte, nen­nt mich Amy.” Amy seufzte. “Meine Eltern haben mir diesen schreck­lichen Namen aufge­bürdet. Ich breche mir jedes Mal beina­he die Zunge. Aber meine Mut­ter meinte, ich bräuchte als eine der Jüng­sten zumin­d­est einen inter­es­sant klin­gen­den Namen, damit sich über­haupt ein Mann auf eine Verbindung mit mir einlässt.”

“Oje, Reich des Löwen, nehme ich an?”, fragte Bri­an mitfühlend.

“Ja, wir bei­de”, sagte Leyara.

“Na, da seid ihr in Anderás bess­er aufge­hoben”, meinte Bri­an und nahm sich einen Tee.

Wenig später saßen alle zusam­men am Tisch.

“Nun gut, ich ver­mute nicht, dass der Rat uns weit­ere Traumwan­dler über­lassen wird.” Jus­tus trank einen Schluck aus sein­er Tasse. “Son­st ist es schw­er­er sie zu überzeu­gen. Dies­mal waren sie erstaunlich großzügig. Ihr drei müsst Eigen­heit­en haben, die sie nicht schätzen.” Als alle drei zu ein­er Erwiderung anset­zten, hob Jus­tus die Hände. “Ihr zwei, Amy und Leyara, habt ja schon kurz von euren Erfahrun­gen erzählt. Aber all diese Eigen­heit­en, die dem Rat miss­fall­en, sind in Anderás nicht von Bedeu­tung. Wichtig ist, dass kein­er von euch bish­er straf­fäl­lig gewor­den ist, andere belästigt oder andere unschöne Dinge getan hat.”

Jus­tus holte tief Luft. “Ich weiß, dass ihr neugierig auf Anderás seid und wis­sen wollt, was es mit eur­er neuen Heimat auf sich hat. Lei­der kann ich euch erst dann Genaueres sagen, wenn wir die Mauer erre­icht haben – ab dort gibt es kein­er­lei Orte mehr, wo wir mit anderen Men­schen Kon­takt haben kön­nten. Ich weiß, dass das nicht befriedi­gend ist, aber Anderás braucht diesen Schutz. Das Reich ist noch rel­a­tiv jung und wir kön­nen immer nur eine bes­timmte Anzahl an Per­so­n­en erfol­gre­ich in unsere Gesellschaft aufnehmen – und drei sind schon recht viel. Bei Traumwan­dlern wer­den diese Regeln aber etwas weit­er aus­gelegt, da der Rat sozusagen schon eine Vorauswahl getrof­fen hat.”

“Weiß der Rat, wie es in Anderás ist?”, fragte Amy.

“Nur ganz grob. Sie wis­sen, dass es Anderás gibt und dass wir kein schlecht­es Leben führen”, erk­lärte Jus­tus. “Aber wie wir leben, das wis­sen sie nicht. Ger­ade bei Traumwan­dlern sollte man eigentlich davon aus­ge­hen, dass sie weniger starr in ihren Ansicht­en sind. Trotz­dem schieben sie gern Per­so­n­en zu uns ab, die nicht in ihr Welt­bild passen.” Jus­tus seufzte.

“Aber genug dazu. Ihr werdet früh genug erfahren, was euch erwartet”, sagte er und klatschte in die Hände. “Dass ihr drei euch frei für Anderás entsch­ieden habt und das ohne die gewährte Bedenkzeit, stimmt mich zuver­sichtlich, dass ihr zu uns passt. Es zeigt mir, dass ihr mit euren bish­eri­gen Leben­sum­stän­den unzufrieden wart.”

Er nick­te, wie um seine eige­nen Worte zu bekräfti­gen, und fuhrt fort: “Wir wer­den in zwei Tagen auf­brechen. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Amy und Leyara müssen mit allem aus­ges­tat­tet wer­den, was für die Reise benötigt wird. Diese Erstausstat­tung zahlt der Rat, wie er es für alle Traumwan­dler tut, die an ihre zukün­fti­gen Tätigkeit­sorte reisen. Außer­dem kön­nt ihr noch Nachricht­en an eure Fam­i­lie schreiben. Ich werde dafür Sorge tra­gen, dass sie über­bracht wer­den. Sobald wir die Mauer über­quert haben, wird es sehr schw­er, Nachricht­en in eines der Reiche zu entsenden.”

 

Kapitel 2

 

Leyaras Sachen lagen vor ihr auf dem Bett verteilt. Logan hat­te sie gebeten, diese schon ein­mal zu ord­nen, sodass er sich schneller einen Überblick ver­schaf­fen kon­nte. In der Nach­barkam­mer waren Amy und Bri­an bere­its dabei, Amys Hab­seligkeit­en auszu­sortieren. Bri­an hat­te Amy noch vor dem Früh­stück geweckt und beim Essen hat­te Amy erschöpft und resig­niert gewirkt. Leyara ver­mutete, dass sie vieles, was ihr ans Herz gewach­sen war, nicht würde mit­nehmen kön­nen. Hof­fentlich würde es ihr selb­st nicht ähn­lich ergehen.

“Ah, du bist vor­bere­it­et. Sehr gut”, sagte Logan, als er die Kam­mer betrat. Geübt nahm er den Stapel in Augen­schein. “Die Leder­hose hier und diese drei Hem­den sind qual­i­ta­tiv hochw­er­tig, das ist ein guter Anfang.” Logan legte die benan­nten Teile zur Seite. “Die restlichen Hosen und Hem­den würde ich auf dem Markt durch wärmere Klei­dungsstücke erset­zen. Sie sind zwar nicht sehr abge­tra­gen, aber ihr Zus­tand sowie die all­ge­meine Qual­ität sind schlechter.”

Mit einem kurzen Blick auf die Unterklei­der fügte er hinzu: “Unterklei­der wer­den wir dir kom­plett neue besor­gen. Zum einen – sei mir nicht böse – sind sie schon sehr faden­scheinig. Zum anderen brauchst du auch hier wär­mende Ausrüstung.”

Leyara nick­te bek­lom­men. Ger­ade in Hin­blick auf ihre Unterklei­der hat­te sie dieses Urteil bere­its erwartet. Die hohe Belas­tung durch das viele Reit­en während der Reise hat­te die schon zuvor abgenutzten Stücke fast unbrauch­bar gemacht.

“Der Schlaf­sack ist gut, aber du wirst einen wärmeren benöti­gen. Wir lassen deinen hier. Für eine Gruppe, die im Som­mer die Berge über­quert. Das Koch- und Ess­geschirr ist brauch­bar, das kön­nen wir mit­nehmen und damit das Vorhan­dene ergänzen.”

Logan fügte die genan­nten Gegen­stände der Hose und den Hem­den hinzu.

“Dann bleibt deine Bürste, das Buch und die Karte.” Das Genan­nte wan­derte auf den Stapel der Dinge, die mitgenom­men wer­den sollten.

“Du hast wirk­lich nicht viel. Das erle­ichtert es dir, zu reisen. Aber wie kommt es dazu?”

“Ich bin als ein­fach­es Mäd­chen im Reich des Löwen aufgewach­sen und dann noch ohne Vater. Mut­ter und ich haben nie viel besessen.” Leyara zuck­te mit den Schul­tern. “Zu der Reise in die Traum­lande bin ich durch Zufall aufge­brochen. Erst unter­wegs begann ich plöt­zlich zu wandeln.”

“Ah, das erk­lärt einiges.” Logan wandte sich zur Tür. “Lass uns zum Mark­t­platz gehen.”

Leyara warf einen kurzen Blick auf das Kleid ihrer Mut­ter. Sie würde Logan überre­den müssen, dass sie es mit­nehmen durfte, wenn sie wieder zurück waren.

 

Als erstes steuerte Logan einen Led­er­er an und suchte dort einen neuen, sehr sta­bilen Ruck­sack für Leyara aus.

“Hier, den wirst du brauchen. Dein Ruck­sack würde die Reise vielle­icht über­ste­hen, aber du wirst für die vie­len Taschen noch dankbar sein.”

Leyara nahm den Ruck­sack ent­ge­gen und beugte sich tiefer über die Aus­la­gen. Auf dem gesamten Weg zum Mark­t­platz war sie immer wieder von dankbaren Traumwan­dlern oder deren Ange­höri­gen ange­sprochen wor­den. Alle hat­ten sich per­sön­lich bei ihr bedankt und ihr eine gute Reise gewün­scht. Jed­er hat­te dabei die Entschei­dung des Rates kri­tisiert. Nun war sie froh, etwas Ruhe zu haben.

Logan wühlte sich weit­er durch die Aus­lage und fand einen dick gefüt­terten Schlaf­sack, den er Leyara am Ruck­sack befes­ti­gen ließ. Dem Led­er­er sagte er, dass der Einkauf auf das Reisekon­to der frisch aus­ge­bilde­ten Traumwan­dler ging.

Als näch­stes steuerte Logan den Stand eines Schmiedes an, der ihn fre­undlich begrüßte.

“Logan! So früh zurück?” Mit einem Blick auf Leyara fragte er: “Das Übliche?”

Als Logan nick­te, holte der Schmied ein Paar Steigeisen, eine gute Hand­voll klein­er Hak­en, einen Pick­el und einen Ham­mer her­vor. Logan füllte die Hak­en in eine Tasche an Leyaras Ruck­sack, Pick­el und Ham­mer kamen in die dafür vorge­se­henen Schlaufen.

“Ich wün­sche eine gute Heim­reise!”, sagte der Schmied. “Grüß mir Frau und Kinder.”
“Das mache ich.” Logan lächelte. “Miri­am freut sich immer, von dir zu hören.”

Der Schmied reichte Leyara die Hand. “Und Ihr, Traumwäch­terin, habt Dank für alles, was Ihr für uns Traumwan­dlern getan habt! Dank Euch ist meine Schwägerin wieder erwacht. Wir hat­ten alle große Sorge um sie. Sie ist schwanger, müsst Ihr wis­sen. Wenn der Tief­schlaf noch etwas länger gedauert hätte …”

Leyara schluck­te und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Daher drück­te sie dem Schmied wort­los die Hand.

“Wir müssen weit­er”, sagte Logan. “Richte dein­er Schwägerin meine und Miri­ams beste Wün­sche aus. Auch für das Kind!”

Logan wink­te dem Schmied zum Abschied und zog Leyara weit­er zum Stand eines Seil­ers. Dort suchte er zwei sta­bile Seile aus und befes­tigte sie an der Seite des Ruck­sacks. Nach Klärung der Bezahlung drehte er sich zu Leyara um.

“Gut, das Klet­terzube­hör und den Schlaf­sack haben wir. Lass uns etwas essen, und dann suchst du dir Unterklei­der aus. Anschließend schauen wir, dass du festes Schuh­w­erk bekommst.” Logan musterte Leyaras Füße. “Das kön­nte etwas schwierig wer­den, aber ich kenne einen Schus­ter, der auch recht kleine Größen hat. Dort müssten wir auch Schneeschuhe bekommen.”

Leyara hat­te in Theodor­furt bish­er kaum eines der vie­len kleinen Gasthäuser betreten, eigentlich nur ein­mal mit Arthur. Mit Amy hat­te sie meist bei Bäck­erin Sina oder Ältestem Tim­o­theus gegessen.

Das Gasthaus, in das Logan sie führte, hat­te nur fünf Tis­che, wovon drei bere­its beset­zt waren. Logan steuerte einen freien Tisch an, der in ein­er Ecke stand. Leyara fol­gte ihm und set­zte sich mit dem Rück­en zur Wand.

“Dieses Gasthaus besuche ich gern”, erk­lärte Logan und rieb sich leicht die Hände. “Die Küche ist wirk­lich gut.”

Eine junge Frau trat an den Tisch. “Das Tages­gericht ist heute Kartof­feln mit Quark und Gemüse. Wir hät­ten auch noch einen Rest vom gestri­gen Eintopf.”

“Zweimal das Tages­gericht, bitte. Und für mich eine extra Por­tion eures Sauer­krautes!”, sagte Logan.

“Sehr gern.” Die junge Frau wandte sich an Leyara, die sich durch Logans Bestel­lung an Arthur erin­nert fühlte. “Habt Ihr noch irgendwelche Wünsche?”

“Kön­nte ich einen Apfel oder eine Birne zum Nachtisch bekommen?”

“Natür­lich!” Die Bedi­enung strahlte über das ganze Gesicht. “Ich bringe euch einen Krug unseres Bir­nen­saftes. Und als Nach­speise eine kleine Auswahl unser­er Äpfel.”

Nach­dem die Bedi­enung durch eine kleine Tür ver­schwun­den war, sah Logan Leyara erstaunt an. “Hast du gewusst, dass deine Bestel­lung sie so erfreuen würde?”

“Nein. Mir ist ein­fach nach etwas Fruchtigem. Ich habe auf der Reise kaum Obst essen kön­nen. Meist gab es nur warme Speisen. Genau­so wie beim Ältesten Tim­o­theus – die Stadt­teile haben uns zwar mit Lebens­mit­teln ver­sorgt, aber viel Obst war nicht dabei. Und in den Län­dereien kann man zwar auch gut essen, aber das ist trotz­dem etwas anderes.”

“Du kennst dich gut aus in den Län­dereien, oder?”, fragte Logan neugierig und ver­schränk­te die Arme auf der Tischplatte.

“Gut ausken­nen? Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich bin viel herumgekom­men. Aber let­ztlich waren es meist diesel­ben Orte: Leopolds Hütte, Orakyls und Ypsals Tal in den Bergen, die als Basis genutzte Höh­le und am Ende noch einige Tage in der Hauptstadt.”

“Es gibt in den Län­dereien Berge?” Logan beugte sich zu Leyara vor.

“Ja, aber irgend­wie waren sie selt­sam.” Beim Gedanken an ihre Erleb­nisse dort schüt­telte Leyara den Kopf. “Ich glaube nicht, dass sie mit den Bergen hier ver­gle­ich­bar sind. Es gab einen gepflegten Pflaster­weg und jeden Abend eine Hütte für die Rast.”

“Diese Annehm­lichkeit­en wer­den wir auf unser­er Reise nicht haben.” Logan lehnte sich zurück. Die junge Bedi­enung kam her­bei und stellte ihnen jew­eils einen Teller mit dampfend­en Kartof­feln, Kräuterquark und gekochtem Win­tergemüse hin. Neben Logans Teller platzierte sie außer­dem eine Schüs­sel voll Sauerkraut.

“Nun gut. Iss dich satt! Du wirst alle Kraft brauchen”, forderte Logan Leyara auf.

Sie fol­gte der Auf­forderung und stellte fest, dass die Kartof­feln auch ohne den Quark sehr schmack­haft waren. Die Sorte kan­nte sie noch nicht.

“Wenn wir wieder zurück sind, kannst du Briefe an diejeni­gen schreiben, die dir am Herzen liegen. Sobald du in Anderás bist, wird das kaum noch möglich sein, obwohl wir Bergführer immer mal Briefe in die Traum­lande mitnehmen.”

Die Bedi­enung kam mit zwei Bech­ern und einem Krug Bir­nen­saft zurück. “Lasst es euch schmeck­en! Wenn ihr noch etwas braucht, winkt einfach.”

Leyara wartete, bis die junge Frau die Gäste an einem anderen Tisch bedi­ente, ehe sie fragte: “Reist ihr häu­fig in die Traumlande?”

“Das ist davon abhängig, ob Anderás ger­ade neue Ein­wohn­er mit bes­timmten Fähigkeit­en benötigt oder nicht.” Logan wandte sich seinem Essen zu. “Aber selb­st, wenn das nicht der Fall ist, reisen Bri­an und ich ein­mal jährlich in die Traum­lande. Das ist das Abkom­men mit dem Rat der Traumwan­dler: Sie wahren unser Geheim­nis und dafür nehmen wir jene Traumwan­dler auf, die während der Aus­bil­dung auf­fäl­lig gewor­den sind. Wobei krim­inelle Hand­lun­gen kat­e­gorisch aus­geschlossen sind.”

“Also Traumwan­dler wie Amy, die sich nicht an die Tra­di­tio­nen gehal­ten haben?”

“Genau.” Logan nickte.

Leyara aß eine Weile schweigend. Aber dann fragte sie schließlich: “Wie ist Anderás so?”

“Viel darf ich dir nicht ver­rat­en.” Logan seufzte und tauchte seinen Löf­fel in das Sauer­kraut. “Eigentlich nicht mehr, als du bere­its weißt. Es existiert. Und du wirst dort nicht ver­hungern. Alles Weit­ere wirst du auf der Reise erfahren und in Anderás selbst.”

“Kannst du mir etwas von der Reise dor­thin erzählen?” Leyara ver­suchte es mit ein­er anderen Frage. Sie zerteilte eine Kartof­fel und verteilte Kräuterquark auf den Hälften.

“Wir haben dir eine Klet­ter­aus­rüs­tung besorgt. Die wirst du defin­i­tiv brauchen für die Reise. Aber auch hierzu kann ich dir nur wenig sagen. Der Weg ist nicht unge­fährlich, aber den Rest musst du selb­st sehen.”

“Auch meine Reise in die Traum­lande war nicht unge­fährlich”, sagte Leyara. “Jonathan und ich waren nur zu zweit unterwegs.”

“Zu zweit?” Logan sah von seinem Teller auf. “Von wo? Dem Reich des Löwen?”

Leyara nick­te.

“Ja, auch das ist für zwei Per­so­n­en gefährlich”, sagte Logan, klang dabei aber nicht sehr überzeugt. “Selb­st wenn ihr als Mann und Frau je nach Reich den jew­eils anderen als Leit­er der Gruppe darstellen konntet.”

“Ja, im Reich der Bärin musste ich die Führung übernehmen. Jonathan hat das bei den Löwen getan.” Nach­den­klich steck­te Leyara das let­zte Stück Kartof­fel in den Mund. Wie aus dem Nichts stand plöt­zlich die Bedi­enung neben ihrem Tisch und räumte ab. Anschließend stellte sie eine Schale kleingeschnit­ten­er Äpfel auf den Tisch.

 

Nach dem Essen führte Logan Leyara zu einem Schnei­der, um warme Unterklei­der zu besor­gen. Logan wandte sich der­weil den Jack­en zu.

Dankbar für seine Diskre­tion sah sich Leyara die Unterklei­der an. Die Auswahl war überwältigend.

Die Frau des Schnei­ders kam zu ihr. “Aus­rüs­tung für die Berge, nehme ich an?” Sie nick­te wis­send zu Logan hinüber.

“Ja.” Ver­legen sah Leyara sie an.

“Dann würde ich das hier empfehlen.” Sie griff gezielt in einen Korb und hielt Leyara ein wol­lenes Etwas hin. “Wir haben hier ein Zwei-Schicht­en-Sys­tem. Innen weiche Baum­wolle oder Leinen, außen dick gestrick­te Wolle. Das Leinen­stück kann getauscht wer­den und wird mit Schlaufen befestigt.”

“Sieht man das nicht?”, fragte Leyara leise und lief rot an. Wie oft hat­te ihre Mut­ter sie ermah­nt, ihren Kör­p­er und auch die Unterklei­der sorgfältig zu bedeck­en? Inzwis­chen wusste Leyara, warum.

“Selb­st wenn, du wirst trotz­dem dankbar für die Wolle sein. In dieser Jahreszeit ist ein Aus­flug in die Berge wage­mutig.” Die Verkäuferin zog eine Hose von einem Stapel. “Unter diesen Hosen fällt die Unterklei­dung ohne­hin nicht auf. Und du wirst sie brauchen.”

Ver­wun­dert befühlte Leyara die Hose. Innen und außen spürte sie Led­er, trotz­dem war sie deut­lich dick­er als es zwei Led­er­schicht­en erwarten ließen.

“Diese Hose ist mit Wolle gefüt­tert”, erk­lärte die Verkäuferin. “Wir haben auch ein paar da, die innen nur mit Fell beset­zt sind.”

Leyara nick­te. Sie warf einen kurzen Blick auf Logan, unsich­er, was sie brauchen würde.

Die Verkäuferin musterte Leyara, dann zog sie jew­eils drei ver­schiedene Größen Unterklei­der her­aus. “Hier, pro­biere sie ein­mal an. Bei dieser Klei­dung ist es wichtig, dass sie vernün­ftig sitzt und nicht scheuert. Lass die Unterklei­der an!” Sie deutete auf eine kleine Umkleidekabine.

In der Kabine zog Leyara rasch ihre Hose aus und streifte vor­sichtig die erste Unter­hose über.

Die Verkäuferin steck­te den Kopf here­in. “Ah, das sieht gut aus! Die Größe passt.” Mit diesen Worten nahm sie Leyara direkt die anderen Größen ab.

Leyara zog die zusät­zliche Unter­hose aus und ihr Hose an. Dann ver­ließ sie die Kabine.

“Nun zu den Hosen.” Die Verkäuferin zog zwei her­vor. “Diese müssten bei­de passen. Schau mal wegen der Länge!”

Leyara hielt die Hosen neben sich. Eine war etwas zu kurz, die andere kam ihr etwas lang vor.

“Hm, ich glaube, mit der etwas kürz­eren kön­nen wir leben”, über­legte die Verkäuferin laut. “Mit Stiefel sollte die Länge eigentlich kein Prob­lem darstellen.”

Logan trat dazu und befühlte die Hose. “Gute Qual­ität. Nehmt davon am besten zwei und zusät­zlich eine warme, lange Unterhose.”

Die Verkäuferin nick­te und zog eine weit­ere Hose in der­sel­ben Größe her­vor. “Ihr habt Glück, wir haben noch genau zwei davon.” Die Hosen wan­derten auf den Stapel mit den Unterklei­dern, dann suchte die Verkäuferin eine passende, lange Unter­hose her­vor. “Warme Hem­den braucht ihr sicher­lich auch?”

Als Logan nick­te, zog die Verkäuferin mehrere Hem­den her­vor. Leyara sollte sie direkt ein­mal überziehen. Von der so ermit­tel­ten Größe hat­te die Verkäuferin sog­ar ver­schiedene Far­ben da. Über­wältigt sah Leyara die Hem­den an.

“Such dir Far­ben aus, Leyara”, meinte Logan. “Und wir –”

Er unter­brach sich. “Was ist los?”

Leyara ran­nen Trä­nen die Wan­gen hin­unter. Sie schluck­te und wis­chte sie rasch fort, aber es kamen direkt neue.

“Na, na.” Die Verkäuferin zog Leyara in den Arm. “Ist ja alles gut.”

Leyara brauchte einen Moment, um sich wieder etwas zu fan­gen. “Es – es geht mir gut. Es – es ist nur – ich habe mir noch nie neue Klei­der beim Schnei­der – Ich …”, stot­terte sie.

“Noch nie?”, fragte Logan mitlei­dig. “Und woher hat­test du deine Kleider?”

“Bei uns im Dorf gab es auf dem Markt einen Stand, an dem aus­sortierte Klei­der ange­boten wur­den. Teils getra­gen, teil­weise war der Schnitt falsch oder beim Nähen etwas schief gegan­gen”, erk­lärte Leyara, immer noch stock­end. “Die Frau des Schnei­ders hat uns immer mal wieder Stof­freste geschenkt, mit denen wir flick­en oder anpassen kon­nten. Es hat far­blich sel­ten zusam­mengepasst, aber … wir hat­ten etwas zum Anziehen.”

“Und da du keine Aus­bil­dung durch­laufen hast, hast du hier in den Traum­lan­den natür­lich nie etwas erhal­ten”, sagte Logan nachdenklich.

“Dafür war ich viel zu kurz hier”, stimmte Leyara zu.

Logan nick­te.

“Nun, das Prob­lem wirst du in Zukun­ft nicht mehr haben. Dafür werde ich Sorge tra­gen”, ver­sprach er.

 

 

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