Donatas Reise
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Donatas Reise
Das Volk der Aurora
Es ist das Jahr 2211 und die Erde wurde in einem globalen Krieg fast vollständig zerstört. Nur Australien hat sich aus den Konflikten heraus gehalten und so den Krieg relativ unbeschadet überstanden. Im Auftrag Australiens reist die junge Forscherin Donata Leander in die Antarktis, um hier ihre Forschungen fort zu setzen. Doch statt Erdgeschichte zu studieren, wird Donata von einem fremdartigen Volk entführt, welches seit Jahrtausenden unter dem Eis der Antarktis lebt.
Schnell lernt Donata, dass unter dem Eis nicht nur ihre Entführer leben. Sie wird vom Volk der Aurora befreit und findet dort Freunde und eine neue Familie. Wird es ihr mit deren Hilfe gelingen, nach Australien zurückzukehren? Oder wird der jahrtausendealte Konflikt zwischen dem Volk der Aurora und ihren Entführern diese Reise verhindern?
Prolog
Es war heiß und die Sonne brannte erbarmungslos auf die rote Erde. Eine kleine Menschengruppe schleppte sich langsam dahin. Ihre dunkle Haut hob sich kaum von der Umgebung ab, und auch ihre Kleidung schien ein Teil der Landschaft. An der Spitze der Gruppe marschierte ein großer, kräftiger Mann. In der Hand hielt er einen Speer, welchen er auch als Gehstock benutzte. Seine Augen mit der Hand abschirmend betrachtete der Anführer das Land vor ihm. Dann gab er den Nachfolgenden ein Zeichen und die Gruppe drehte etwas nach Süden ab. Der Marsch durch die heiße Luft wurde bis zur Abenddämmerung fortgesetzt. Hin und wieder wurde die Richtung korrigiert. Als die Sonne sich jedoch dem Horizont näherte, kam eine Baumgruppe in Sicht. Die Menschen freuten sich und deuteten aufgeregt vorwärts. Es schien als ob neue Kraft die müden Glieder beflügelte. Die Mühsal des Tages vergessend wurde der letzte Abschnitt der Wanderung schneller zurückgelegt. Unter den Bäumen winkten Nahrung, Wasser und Ruhe.
Nachdem die Sonne untergegangen war, trat Ruhe im Lager ein. Jede Familie hatte sich eine kleine Hütte gebaut, in der Mitte des Lagers stand die Hütte des Schamanen. Ein alter Mann summte leise alte Lieder vor sich hin. Ein paar Kinder spielten noch, aber viele der Jüngeren schliefen bereits im Schoß ihrer Mütter. Einige der Männer umgaben das Lager mit einem schützenden Ring.
Woaq, der alte Schamane des Stammes, sah lange ins Feuer. Die Welt schien ihm fremd. Seit langem spürte er es wieder. Fast konnte er es greifen, doch noch enthielt sich das Bild seinem Blick. Mühsam streifte Woaq alles Weltliche ab, und plötzlich sah er das Lager wie aus weiter Ferne. Er fühlte sich gezogen, getragen von einer großen Macht. Die Landschaft raste vorbei, veränderte sich. Die Wüste wirkte bedrohlicher als sie es je zuvor getan hatte. Dann stand Woaq auf der Erde. Nirgends war Leben zu sehen. Aufmerksam sah der alte Mann sich um. Er wunderte sich. Hatte sein Geist seinen Körper nun endgültig verlassen? Er hatte schon von vielen Schamanen gehört, die eine Vision hatten, aber nie aus ihr erwachten. Die Vision war zu stark für ihren Geist gewesen. Nur die Stärksten konnten die ganze Wahrheit vertragen.
“Deshalb bist du hier”, sagte eine machtvolle Stimme hinter Woaq.
Erschrocken wirbelte dieser herum. Ein riesiges rotes Känguru stand hinter ihm.
“Du bist hier, weil du gewarnt sein sollst. In einem Menschenleben wird das Land von Plagen heimgesucht werden. Plagen, so groß, dass es sich nicht erholen kann.”
“Was für Plagen, oh Großes Känguru?”, fragte Woaq verwirrt.
“Große Plagen, Woaq. Größer, als du sie dir vorstellen kannst.”
“Können sie nicht abgewandt werden? Sag mir, was ich tun kann, damit meine Enkel in Frieden leben können!” Woaq brach ein wenig zusammen, kniete nun vor dem Känguru.
“Die Plagen kommen vom Menschen und der Mensch kann sie stoppen. Suche den Menschen, der sie stoppen kann. Denn nur so können die Plagen abgewandt sein. Suche den Menschen -”
An dieser Stelle wurde das Känguru leiser, es entfernte sich, ohne sich zu bewegen, wurde durchsichtiger. “Suche den Menschen”, hallte seine Stimme ein letztes Mal über das Land. “Nur so ist auch mein Leben zu retten. Rette mein Volk, Woaq. Rette es.”
Diese letzte Aufforderung war nur noch ein Flüstern, dann war Woaq allein in der toten Landschaft. Mit müdem Auge blickte der Mann über das Land. Wo einst Bäume standen waren Stümpfe, der Heilige Berg zerbröckelte vor seinen Augen. Ein Anblick größter Zerstörung offenbarte sich Woaq. Mit einem ihm unbekannten Weitblick sah er über das Große Wasser und in der Ferne Berge, größer als der Heilige Berg, doch auch sie zerfielen vor seinen Augen zu Staub. Städte der Weißen lagen verlassen da, ein Geier lag verhungert auf dem Boden. Als Woaq all dies gesehen hatte, spürte er erneut den Sog, und mit einer ihm unverständlichen Plötzlichkeit saß er wieder am Feuer inmitten seines Stammes. Ehrfürchtig hatten sich alle von ihm entfernt, damit seine Vision nicht gestört würde.
“Höret, oh Kinder diese Landes”, begann Woaq. “Großes Unheil wird kommen über dieses Land und alle Länder der Weißen.”
Ein erschrockenes Raunen ging durch den Stamm.
“Plagen werden das Land heimsuchen und alles vernichten. Ich sah mit diesen meinen Augen, was passieren wird.”
“Oh, Mächtiger!”
Ein junger Mann trat aus den Reihen des Stammes hervor und warf sich auf den Boden vor Woaq. “Gibt es keine Möglichkeit, unser Volk zu retten?”
“Du warst schon immer voreilig, Wiq”, sagte Woaq mit einem leichten Lächeln. “Es gibt einen Weg. Aber nur das kräftige, junge, mutige Herz kann ihn beschreiten. Fühlst du dich in der Lage, ihn zu gehen, Wiq?”
“Sagt mir, was ich tun muss, um mein Volk zu retten, oh Weiser.”
“Suche den Menschen, der die Plagen hervorruft. Berichte ihm von dem, was passieren wird. Suche ihn, und rette dein Volk und das des Roten Kängurus!”
“Ich werde den Menschen suchen, oh Weiser. Ich werde weiter laufen als mein Fuß mich tragen will, bis ich ihn gefunden habe”, sagte Wiq.
“So folge mir, dass ich dir gebe, was du auf deiner Reise benötigst.”
Woaq erhob sich schwerfällig und schlurfte zu seiner kleinen Hütte. Die Vision hatte ihn mehr Kraft gekostet als er erst angenommen hatte.
Am nächsten Morgen reiste Wiq los und fand nach langer Suche den Menschen, den das Känguru in Woaqs Vision benannt hatte. Auf seiner gefährlichen Reise erlebte Wiq viel. Als er nach langen Jahren zu seinem Stamm zurück kehrte, erkannte dieser ihn nicht. So sehr Wiq versuchte, sich wieder an das Stammesleben zu gewöhnen, es gelang ihm nicht. Zu sehr hatte er sich im Umgang mit den Weißen verändert. An einem einsamen Sommerabend entschloss er sich, seinen Stamm endgültig zu verlassen. Nie würde er sein Leben unter diesen letzten der freien Söhne Australiens vergessen. In seinem Herzen blieb er sein ganzes Leben lang einer der ihren. Einer der letzten freien Aborigine.
***
Die Sonne strahlte von einem türkisfarbenem Himmel herab. Ein leichter Wind bewegte die Zweige der Bäume und ein paar Kühe muhten auf einer Wiese. Ein Kinderlachen schallte vom Dorf herüber. Irgendwo bellte ein Hund. Eine alte Frau besuchte ihre Nachbarin, um einen Plausch zu halten.
Plötzlich war ein donnerndes Dröhnen zu hören. Ein paar tieffliegende Flugzeuge schossen heran. Kleine Punkte lösten sich von ihnen und rasten auf die Erde zu. Jemand sah nach oben. Ein Schrei war zu hören. Verängstigt rannten die Kühe davon, als ein lautes Pfeifen zu hören war.
Die Menschen des Dorfes rannten. Ein paar eilten in den Keller, andere auf ihren Dachboden. Noch andere liefen so schnell sie konnten zu nahem Wald. Jemand sprang in eine halbleere Regentonne.
Dann trafen die Bomben die Ortschaft. Eine gewaltige Staubwolke schoss in die Höhe und nach einem lauten Knall schien alles unnatürlich still. Die Flugzeuge kreisten noch einmal kurz über ihrem Ziel und flogen dann davon.
Nach einer kleinen Weile bewegten sich ein paar Steine, kleine Bröckchen kullerten davon. Ein Junge grub sich aus dem Schutt. Grau waren seine ehemals bunten Sachen. Kein Lächeln schmückte sein Gesicht. Ungläubig starrte er über den ehemaligen Marktplatz. Langsam, unsicher ging er los. Ein paar Gestalten hoben sich von der staubigen Luft ab.
“Hey!”, rief der Junge, als sich die Gestalten entfernten. Er hatte Angst, dass sie ihn allein ließen in dieser Ödnis.
Die Gestalten stoppten. Sie warteten auf ihn. Der Junge eilte auf sie zu, und nur wenig später konnte er sie besser erkennen. Vor ihm standen zwei Männer und eine Frau, ebenso wie er mit Staub bedeckt. Der eine Mann stützte den anderen.
“Das ist ja Johnsons Michel!”, rief die Frau aus. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie den Jungen in die Arme schloss. Die beiden Männer traten zu ihnen. Gemeinsam spendeten sie sich Trost, nicht ahnend, dass sie die einzigen Überlebenden im Umkreis von fast 100 Kilometern waren.
***
Auf der anderen Seite der Erde kochte sich ein alter Aborigine gerade einen Tee. Er wusste nicht, dass die Plage, von welcher er den Weißen berichtet hatte, nun die Erde heimsuchte. Im Jahre 2200 der christlichen Zeitrechnung erschütterte die erste gezündete Atombombe seit langem das Angesicht der Erde. Ein kleines Mädchen, kaum 12 Jahre alt, flüchtete mit ihrem Onkel und ihrer Tante vor dem Krieg. Nordian, sein Heimatland, wurde zerstört und mit ihm viele andere Länder. Nur eines enthielt sich dem Kriegsgeschehen: Australien – Heimat der Aborigine. Dort traf das Mädchen Wiq, den Boten Woaqs. Noch weitere 10 Jahre dauerte der Kampf an, dann endete er ebenso schnell wie er begann.
Es ist das Jahr 2211, und das einst junge Mädchen ist nun 22 Jahre alt. Australien und ein Großteil der Antarktis wurden nicht verstrahlt.
Als Donata am Morgen erwachte, war sie erst einmal verwirrt. Ihr war nicht ganz klar, wo sie war.
Das ist aber nicht mein Zimmer. Wo bin ich?
Ihr fiel die Entdeckung der Antarktisforschungsstation Asmidas 2 am Vortag ein. Ausgehend von der 5. Station der Antarktis hatte sich eine Forschergruppe aufgemacht, um den Ursprung eines Feuerwerks zu untersuchen. Beruhigt reckte sie sich und sah sich in dem Zimmer ein wenig genauer um. Am gestrigen Abend war das kaum mehr möglich gewesen, da sie zum einen ziemlich müde gewesen war und es zum anderen relativ dunkel gewesen war.
In einer Ecke stand ein dunkler Holzschrank, der selbstgezimmert wirkte. Er hatte an mehreren Stellen Unregelmäßigkeiten und Astlöcher. Der daneben hängende Spiegel war nicht mehr der Jüngste, die Scheibe war leicht angegraut. An der gegenüber liegenden Wand stand eine Metallkommode, die noch von der ursprünglichen Einrichtung zu sein schien. Das unpersönliche Weiß war oft genutzt worden und war auch jetzt noch die Farbe, die jedes Zimmer einer Station zu Beginn hatte. Diese Kommode war jedoch mit einigen Stickern und Kinderbildern verziert. So wirkte sie eher wie ein Fehlgriff bei der Möbelwahl des ehemaligen Zimmerbesitzers. Alles in allem ein gemütliches Zimmer, beschloss Donata.
Sie kuschelte sich noch einmal unter die Decke, zu faul, um schon auf zu stehen.
Los, auf du Faulpelz!, schimpfte sie mit sich selbst. Du wirst doch nicht hier rumliegen wollen, wenn es soviel zu sehen gibt!
Dies einsehend schlug sie die Decke zurück und zuckte erschrocken zusammen, als sie die Kälte des Raumes spürte. Schnell stand sie auf und zog die Sachen vom Vortag wieder an. Ihr wurde nur geringfügig wärmer und so beschloss sie, sich ein wenig zu bewegen.
Ein kleiner Spaziergang wird mir nicht schaden und mich aufwärmen.
Als sie ihr Zimmer verließ, sah sie Fridjof, der gerade in den Speisesaal ging.
“Guten Morgen Fridjof.”
“Guten Morgen. Schon wach, Donata?”
“Ja. Ich werde jetzt erstmal einen kleinen Spaziergang machen. Zum Wachwerden.”
“Mach das, viel Spaß dabei. Aber geh nicht zu lang weg, es soll bald Frühstück geben.”
“Ok, bis dann.”
Sie winkte ihm kurz zu und verließ dann die Station durch eine Nebentür. Die klare, frische Luft ließ sie gleich ein wenig munterer werden. Sie schlenderte einfach so drauf los, ohne sich eine wirkliche Richtung aus zu suchen. Nach einer kleinen Weile wurden ihre Schritte weiter und federnder. Sie hatte solche Spaziergänge ein wenig vermisst und genoss die Bewegung an der frischen Luft.
Sie erreichte eine kleine Erhöhung. Von oben sah sie den Weg entlang, den sie genommen hatte. Asmidas 2 war schon ein gutes Stück entfernt.
Ich sollte wohl langsam zurück gehen, sagte sie sich.
Sie sah noch einmal auf die weiße Landschaft, die sich in entgegen gesetzter Richtung von Asmidas 2 erstreckte. Die Weite gefiel ihr. Es erinnerte sie an Wiqs Erzählungen vom Leben der Aborigine und die Worte, mit denen er das Outback beschrieben hatte. So ähnlich musste es dort aussehen, nur in Brauntönen.
Sie drehte sich um – und stieß gegen einen Mann. Dieser musste sich leise genähert und sie beobachtet haben. Als er merkte, dass er entdeckt worden war, grinste er und griff nach ihr. Aufschreiend wich Donata zurück. In der Schnelle wusste sie nicht, ob sie einfach rennen sollte, oder versuchen, sich zu verteidigen. Der Mann würde sie sicherlich einholen, denn er war mehr als doppelt so groß wie sie.
Ehe sie einen Entschluss gefasst hatte, hatte der Mann sie jedoch gepackt und warf sie sich wie einen Kartoffelsack über die Schulter. Entsetzt schlug Donata auf seinen Rücken ein, doch dies störte ihn nicht. Er setzte sich in Bewegung und ging zu einer Gruppe von Menschen, die hinter einem Eisblock stand. Alle Mitglieder der Gruppe waren von wahrhaft riesiger Gestalt. Der Größte, den Donata auf die Schnelle sah, war fast drei Meter groß.
Was sind das für Menschen? Wo kommen sie her? Selbst Asomiden werden nicht so groß!, dachte sie entsetzt.
Ein Gruppenmitglied grunzte leicht, und ein anderes nickte. Dann begannen die Menschen zu Donatas Erschrecken im Boden zu verschwinden. Der Mann, welcher sie trug, trat näher an die anderen heran und Donata sah, dass ein großes Loch im Eis in eine Höhle führte. Flackerndes Licht erfüllte diese.
Als alle in der Höhle – eher ein Tunnel – waren, schloss einer der Männer das Loch am Eingang mit einem riesigen Eisblock. Erst jetzt fiel Donata auf, dass die Gruppe nur aus Männern bestand.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Mit flottem Schritt ging es den Tunnel entlang. Der Letzte löschte die Fackeln, die den Gang erhellten. Donata wunderte sich, denn so würden sie den Weg zurück ja nur schwerlich finden.
Welchen Grund haben diese Männer, ihre Spuren zu verstecken? Wohnen sie unter dem Eis? Das würde das Löschen der Fackeln erklären. Aber wer würde unter dem Eis leben wollen??
Verwirrt dachte Donata über ihre Situation nach. Dass sie sich würde befreien können, glaubte sie im Moment nicht mehr.
Trotz des flotten Tempos der Männer dauerte es relativ lange, ehe Donata Sonnenlicht am Ende des Tunnels sah. Erleichtert atmete sie auf. Sicherlich war dieser Gang nur ein Schutztunnel, der zwei Asomidenstationen verband.
Die Männer verließen den Tunnel und betraten ein großes Tal. Donata zog erschrocken die Luft ein, denn das Tal war grün. Wie konnte es in der Antarktis ein Tal geben, wo Pflanzen wuchsen? Sie hörte ein leichtes Lüftchen, das in ein paar Bäumen rauschte. Ihr Forscherinstinkt gewann die Oberhand und sie sah sich so gut es ging um. Das relativ große Tal war in unregelmäßige Vierecke unterteilt. Oft waren diese auch durchbrochen von Wald. Überall waren Holzhütten zu sehen. Nur selten stand bei ein paar Holzhütten ein Haus aus roh behauenen Steinen. In der Mitte des Tals stand eine Art Schloss. Auch dieses war aus Steinen gebaut, wirkte aber sehr grob.
Als die Männer weiter gingen, erkannte Donata, dass die Vierecke des Tals Felder waren. Sie konnte Bauern erkennen, die mit dem Pflug das Feld bestellten. Es waren aber keine Maschinen vorhanden, sondern die Pflüge wurden von pferdeähnlichen zweiköpfigen Wesen gezogen. Ein paar Pflüge wurden auch von großen Löwen gezogen.
Ganz in der Nähe des Weges stand eine Mühle, die durch einen Bach betrieben wurde. Eine Windmühle war ebenfalls in der Ferne zu sehen.
Als sich die Männer einem kleinen Dorf näherten, konnte Donata sehen, wie heruntergekommen die Hütten waren. In den Gassen lagen Essensreste und Fäkalien. Angewiderte sah Donata in eine andere Richtung. Ihr Blick fiel auf einen Bauern, der gerade seinen Pflug umdrehte. Er wirkte heruntergekommen und abgearbeitet.
Wo bin ich denn hier gelandet? Wo sind die Maschinen, die die Feldarbeit machen? Und warum werden die Straßen nicht sauber gehalten?
Die Männer betraten das Dorf. Hinter einer dürftigen Holztür sahen zwei Augen ängstlich hervor. Eine Frau zog schnell ihr Kind ins Haus. Für die Gruppe hatte sie keinen freundlichen Blick. Die Männer grinsten nur unflätig, gingen aber weiter.
Nachdem sie das Dorf wieder verlassen hatten, sah Donata noch mehr Bauern, die der harten Feldarbeit nachgingen. Sie wurden teilweise von ihren Frauen und Kindern unterstützt. Die Gruppe wurde misstrauisch betrachtet. Ein paar der Männer wirkten grimmig und verhärmt.
Ein Mann der Gruppe beobachtete die Bauern, und als er ein Mädchen sah, rief er ihm etwas zu. Sie hob nicht einmal den Kopf, sondern arbeitete weiter. Ein wenig wütend ging der Mann über die jungen Sprösslinge auf das Mädchen zu. Mit einem raschen Griff an dessen Kinn zwang er es, ihn an zu sehen. Als er etwas zu ihr sagte, versuchte sie verzweifelt, sich los zu reißen. Die Gruppe lachte, doch dann rief einer der Männer dem auf dem Feld etwas zu. Mürrisch drehte er sich um und ging zu der Gruppe zurück. Das Mädchen flüchtete sich zu den Bauern. Die Gruppe lachte nur noch mehr.
Kurz nach diesem Ereignis erreichten die Männer eines der Steinhäuser. Dort wurden sie bereits von einem weiteren Mann erwartet. Er grunzte ein wenig, als er Donata sah. Dann führte er die Gruppe zu einem kleinen Anbau. Ein paar der Löwen, die Donata bereits auf den Feldern gesehen hatte, standen dort in Boxen. Der Mann rief einem Stallburschen etwas zu und dieser zäumte eilig die Löwen auf. Ungeduldig warteten die Männer und schwangen sich dann ohne ein Wort des Dankes auf ihre Reittiere. Im schnellen Galopp ging es dann weiter in Richtung des Schlosses.
Ehe die Sonne unterging, erreichten die Männer eine Schenke. Dort hielten sie an und übergaben ihre Tiere einem Burschen. Donata wurde in einen kleinen Raum gesperrt und nach einer Weile brachte ihr der Bursche einen kleinen harten Kanten Brot und eine Schüssel Wasser. Trotz der hygienischen Mängel schlang Donata das Brot hinunter und trank das Wasser aus. Sie hatte seit dem Vorabend nichts mehr gegessen.
Nach dem Essen hockte sich Donata in eine Ecke. Ein wenig halbgammliges Stroh lag auf dem Fußboden — es lud nicht unbedingt zum Schlafen ein. Irgendwann jedoch schlief Donata ein. Verzweifelte Gedanken ließ sie noch nicht zu.
***
Am Morgen wurde die Tür des Raumes aufgerissen und einer der Männer zog Donata unsanft aus diesem heraus. Ihre Hände wurden gefesselt, und dann wurde sie wie am Vortag von den Männern auf ihren Reittieren transportiert. In regelmäßigen Abständen wurden die Tiere gewechselt, es schien für sie Wechselstationen zu geben. Möglicherweise standen sie höher als die Bauern oder aber waren Angehörige eines gewissen Personenkreises, z.B. einer Armee. Mit solchen Gedanken versuchte sich Donata ab zu lenken.
Die Reise dauerte drei Tage, Donata erhielt nur am Abend eine kleine Mahlzeit und fühlte sich mit jedem Tag matter und niedergeschlagener. Die Umgebung konnte ihre Aufmerksamkeit nicht mehr so fesseln wie am Anfang.
Erst, als Donata bemerkte, dass das Schloss näher kam, wurde sie wieder aufmerksamer. Die Häuser waren hier nicht ganz so herunter gekommen. Die Menschen schauten nicht so ängstlich wie auf dem Land und auch die Tiere sahen gesünder aus. Die Straßen waren jedoch ähnlich schmutzig und herunter gekommen.
Beim Schloss angekommen, passierte die Gruppe die Wachen und ritt über eine hölzerne Zugbrücke in den Innenhof. Dort wurden sie bereits erwartet. Sie stiegen von den Löwen und übergaben diese den Stallburschen. Einer der Männer zeigte auf einige gezäumte Straußenvögel. Jedenfalls wirkten sie wie Sträuße, nur waren sie schwerfälliger gebaut.
Der Anführer der Gruppe grunzte unwirsch und führte sie dann durch ein Tor in eine große Halle. Am Ende der Halle glitzerte eine goldverzierte Tür im Fackellicht. Die Gruppe wurde von einer Wache heran gewunken und durch die Tür geführt. Erneut betraten sie eine Halle. Diese war mit schönen Säulen und Mosaiken verziert. Fackeln erhellten alles.
Zwischen den Säulen waren Wachen platziert, die massive Holzspeere mit Eisenspitze in den Händen hielten.
Nach dieser Halle wurden sie in eine weitere, ebenso reich geschmückte Halle gebracht. Dort wurden sie lauthals angekündigt. Einige Männer, die müßig an den Seiten dieser Halle gestanden hatten, sahen ihnen nun zu. Einige deuteten auf Donata, die von einem der Männer mitgetragen wurde. Immer, wenn die Gruppe an ein paar Männern vorbei war, wandten sich diese wieder ihren Gesprächen zu und taten dabei sehr wichtig. Donata fühlte sich, als ob sie zurück ins Mittelalter versetzt worden war.
Das ist ja unglaublich! Dass sich eine solche Gesellschaft entwickelt hat — in unserer Zeit! Wie viele Jahre wird diese Station wohl vom Rest der Menschheit abgeschnitten gewesen sein? Und – wo kommen all die seltsamen Tiere her?
Donata war unsicher, was sie aus ihren Beobachtungen machen sollte.
Die Gruppe näherte sich einem Podest, über welchem eine große Flagge aus purpurnen Stoff hing. Ein großes, aus goldenen Fäden gesticktes Emblem war darauf abgebildet.
Auf dem Podest saß ein großer Mann auf einem erhöhten, goldverzierten Stuhl. Er sah der Gruppe ruhig entgegen. Neben ihm saß eine kräftig gebaute Frau, die gerade mit einem im Vergleich zierlichen und kleinen Mädchen sprach.
Die Männer knieten vor dem Podest nieder. Dann sprach der König, denn das schien er zu sein, die Gruppe an. Der Anführer antwortete ihm. Erneut versuchte Donata, die Männer zu verstehen. Die Grunzlaute aber verstand sie nicht. Es war keine ihr bekannte Sprache.
Nach einem kurzen Austausch deutete der Anführer auf Donata, die nun von ihrem Träger nach vorn gestoßen wurde.
Der König betrachtete sie interessiert und gab dann einem der Wachmänner ein Zeichen. Dieser verschwand durch eine kleine Nebentür und kam kurz darauf mit einem kleinen Beutel zurück. Diesen reichte der König Donatas Träger. Dann wurde Donata dem Wachmann übergeben und weg gebracht. Die Gruppe sprach weiter mit dem König.
Der Wachmann hatte sich Donata ebenfalls über die Schulter geworfen.
Es ist ja nicht so, dass ich mich auf den Arm genommen fühle…, dachte Donata aus der Situation heraus ein wenig ironisch. Ich würde aber gern einmal wissen, wo ich hier bin und wer diese Menschen sind. Ist das zuviel verlangt?
Der Wachmann eilte einen nur schwach erhellten Gang entlang. An dessen Ende klopfte er an eine stabile Holztür. Ein Grunzen war zu hören, dann öffnete sich langsam die Tür. Ein bulliger Mann sah misstrauisch durch einen Spalt, ehe er die Tür ganz öffnete. Der Wachmann übergab ihm Donata, die nun mit einem kräftigen Schubs neben dem Kerkermeister auf dem Boden landete. Der Wachmann grunzte kurz und befehlend und ging dann wieder. Der Kerkermeister schloss die Tür, zog Donata dann grob hoch und stieß sie den Gang entlang. Unsicher ging Donata los. An einer weiteren Tür ließ der Kerkermeister sie warten, während er diese öffnete. Dann stieß er Donata in den kleinen, dunklen Raum, welcher sich hinter der Tür verbarg. Wie betäubt taumelte Donata hinein. Die Tür war zu, ehe sie wirklich begriffen hatte, wie sich ihre Situation geändert hatte.
Unsicher tastete sich Donata an der Wand des Raumes entlang. An einer Stelle stieß sie auf ein wenig verschmutztes Stroh. Dem Geruch nach zu schließen war es mit Exkrementen vermischt. Ergänzt wurde die stinkende Masse mit Schlammbrocken. Wasser hatte sich mit dem Staub des Raumes und dem alten Stroh verbunden. Der Raum war deutlich schlechter als die, in welchen sie während der Reise des nachts gesperrt worden war. Den trotz des Schmutzes hatte es dort nicht so bestialisch gestunken.
Angewidert ging Donata weiter, fand aber in der Enge keinen auch nur halbwegs sauberen Platz. Müde lehnte sie sich an die Wand, in der Hoffnung, heute stehend zu schlafen. Dies gelang ihr nicht. Als sich die Tür geräuschvoll öffnete, fühlte sich Donata kein bisschen besser. Ihre Kleidung war inzwischen mehr als verschmutzt und der harte Boden hatte ihr keine Erholung gewährt.
Der Kerkermeister scheuchte sie aus der Zelle. Ein weiterer Mann fing sie ein und betrachtete sie dann, wie man ein Pferd oder eine Kuh betrachten würde, die man kaufen will. Nach einer kleinen Weile wandte er sich an den Kerkermeister. Dieser nickte auf eine Frage hin.
Der Mann packte Donata nun und trieb sie vor sich her aus dem Kerker. Auf dem Weg nach draußen wurden weitere Gefangene aus Zellen herausgetrieben. Ein paar der Gefangenen konnten kaum laufen. Eine Frau wurde sogar von zwei der Männer gestützt. Donata ging teilnahmslos mit. Sie war zu müde und erschöpft, um alles wirklich aufnehmen zu können.
Auf dem Hof stand ein Karren, auf den sie verfrachtet wurden. Kräftige Tiere mit einem Rüssel und zwei Hörnern zogen dann den Wagen aus dem Hof. Von der frischen Luft ein wenig munterer geworden betrachtete Donata die Tiere. Sie waren nicht schön und wirkten auch trotz des Rüssels nicht wie Elefanten.
Der Karren war mit Holzstangen vergittert. Der Käfig war so kräftig gebaut, dass es schien, als ob die “Riesen”, wie Donata sie im Stillen nannte, Angst hätten, dass die Gefangenen trotz ihrer schlechten Verfassung würden fliehen können.
Donata war eine der Ersten, die den Karren erreichten. Sie war noch ein wenig kräftiger und ausgeruhter als einige der anderen. Manche schienen schon seit Wochen keine richtige Mahlzeit mehr gegessen zu haben.
Donata suchte sich einen Platz. Als sie aber einige der anderen in den Karren taumeln sah, half sie diesen, sich zu setzen. Als alle im Wagen waren, setzte sie sich neben den Mann, dem sie als letztes geholfen hatte.
Mit einem Ruck setzte sich der Karren in Bewegung. Ein paar der Riesen umschwärmten den Wagen. Der Kutscher beachtete seine Fracht nicht weiter, sondern trieb die Zugtiere mit lauten Rufen an.
“Wissen Sie, wo wir hinfahren?”, fragte Donata ihren Sitznachbarn. Dieser sah sie verwirrt an und zuckte mit den Schultern. Donata versuchte es erneut, diesmal mit Nordian. Dieselbe Reaktion. Auch Französisch und Asomiditan schienen dem Mann nicht bekannt. Zu guter Letzt versuchte sie Aborigine. Der Mann hob leicht den Kopf und sah sie fragend an. So, als ob er ihr sagen wollte, dass sie deutlicher sprechen solle. Donata versuchte es erneut, aber immer noch schien der Mann ihre Worte nicht zu verstehen. Sie wusste nicht, wie sie es anders betonen könnte, denn sie hatte bereits langsam und deutlich gesprochen.
Entmutigt lehnte sie sich zurück. Der Mann betrachtete sie noch eine kleine Weile neugierig, wandte sich dann aber seinen eigenen Gedanken zu.
Donata war verzweifelt. Sie wusste nicht, wo sie war. Es erschien ihr unmöglich, dass Menschen unter dem Eis lebten.
Das muss ein schlechter Traum sein! Sicherlich wache ich jeden Moment auf…
Ach – ich mach mir nur was vor. Das hier ist wirklich. Aber es – es scheint wie ein schlechter Film, ein sehr schlechter.
Was wird Wiq denken, wenn er hört, dass ich verschwunden bin? Und Tante Sarah und Onkel Wulfric!
Eine Träne rann langsam über Donatas Wange. Erschöpft ließ sie ihren Kopf auf ihre Knie sinken. Sie sah keine Möglichkeit, den Weg zurück zu finden. Auch eine Kommunikation schien nicht möglich. Weder mit den Riesen noch mit den anderen Gefangenen. Sie hatte es ja mit dem Mann neben sich versucht.
Der Gefangene sah Donatas Hoffnungslosigkeit und legte ihr tröstend die Hand auf den Arm. Als sie aufsah, lächelte er ermutigend. Donatas Lächeln war eher gequält. Ein kleiner Hoffnungsfunken jedoch erwachte. Wenn Traurigkeit, Trost und Lächeln auch hier als Kommunikationsteile bekannt waren, konnte vielleicht auch irgendwann wirklich ein Austausch entstehen — und das konnte die Lage erklären und möglicherweise sogar verbessern.
***
Die Fahrt dauerte bis in den späten Abend. Die Sonne war schon fast untergegangen, als der Karren vor einem Steinhaus hielt. Der Kutscher stieg ab, während sich die Reiter am Wagen sammelten. Der Kutscher klopfte und ihm wurde von einem wütend grunzenden Mann geöffnet. Der Fahrer deutete auf den Wagen. Der Andere sah die Gefangenen, dann nickte er, deutete auf den Hof und ging voraus. Die Reiter nahmen die Zügel der Zugtiere und manövrierten den Wagen in den Hof. Dort wurden die Tiere abgespannt und in einen Stall gebracht. Bis auf eine Wache gingen dann alle Riesen in das Haus.
Nur wenig später brachte ein Knecht einen Eimer Wasser und ein wenig vertrocknetes Brot nach draußen. Seine Last schob er unter dem Gitter durch in den Wagen und ging dann wieder. Erst, als der Knecht nicht mehr zu sehen war, stürzten sich die Gefangenen auf das Essen. Donatas Sitznachbar war unter ihnen. Er eroberte ein Stück Brot und tauchte es ins Wasser. Damit kehrte er zu seinem Platz zurück und brach es in zwei Teile. Eines davon reichte er ihr.
Erstaunt sah Donata ihn an und nahm die Gabe. Als das grobkörnige, feuchte Brot in ihrer Hand war, merkte sie, wie hungrig sie war. Ihr ging auf, dass sie seit dem Vorabend – oder war es der Abend davor? – nichts mehr gegessen hatte. Gierig schlang Donata das Brot herunter und tat es so ihrem Sitznachbarn gleich. Als das Brot aufgebraucht war, hatte sie immer noch Hunger, aber das Brot und auch das Wasser waren alle.
Donata lehnte sich leicht zurück, als ihr einfiel, dass sich noch gar nicht für das Brot bedankt hatte. Sie wandte sich an den Mann, doch dieser winkte ab. Dann wickelte er sich in seine dürftigen Kleidungsstücke und rollte sich zum Schlaf zusammen. Auch viele der anderen Gefangenen hatten bereits eine ähnliche Stellung eingenommen.
Donata beschloss, ebenfalls zu schlafen. In dieser Nacht würde sie wieder nichts unternehmen können. Trotz der Ruhe der Nacht konnte sie jedoch nicht einschlafen. Erst am frühen Morgen fielen ihr die Augen zu.
Doch ihre Ruhe war nur von kurzer Dauer. Kaum das die Sonne aufgegangen war, kam der Kutscher zusammen mit den Reitern und spannte die Zugtiere vor den Karren.
Mit einem kräftigen Ruck legten sich diese dann ins Geschirr. Dies weckte auch die letzten Schläfer. Hämisch lachten die Reiter.
An diesem Morgen war Donata doch ein wenig neugieriger und sah sich im Wagen um. Die Gefangenen waren eine gemischte Gruppe aller Altersklassen. Allesamt waren sie jedoch kleiner als der Kutscher und die Reiter. Verwundert schüttelte Donata den Kopf. Unterdrückten hier die Großen die Kleinen?
Die Landschaft wurde zunehmend felsiger. Die Felder und die darauf arbeitenden Bauern wurden immer seltener. Die Bauern schienen sich jedoch vor dem Karren nicht zu fürchten.
Gegen Mittag war in der Ferne eine kleine Ansiedlung zu erkennen. Ein paar halbverfallene Holzhütten standen neben einem massiven Steinhaus mit einem ausladenden Anbau, der sich auf die nahen Hügel erstreckte. Zwischen den Häusern waren mehrere Riesen zu sehen. Als diese den Karren sahen, kam Bewegung in die Menschen. Immer mehr gesellten sich dazu, bis das ganze Dorf versammelt schien. Als der Karren in das Dorf rollte, waren ca. 50 Männer versammelt.
Neben dem Steinhaus aus grob behauenem Stein hielt der Kutscher den Wagen an. Ein paar Wachen traten aus dem Schatten des Gebäudes, wo sie ein Würfelspiel gespielt hatten. Einer der Reiter sagte ihnen etwas, dann wurde das große Holztor zum Innenhof geöffnet. Der Karren setzte sich in Bewegung und hielt erneut. Die Tore schlossen sich.
Im Hof waren Grüppchen von kleinen Menschen am Arbeiten. Sie erinnerten Donata sehr an ihre Mitgefangenen.
Die Arbeiter wurden von uniformierten Riesen überwacht. Wer seine Arbeit nicht tat oder nach Meinung der Riesen zu langsam war, erhielt Schläge.
Einer der Männer im Wagen stöhnte angstvoll auf. Donata sah zurück in den Wagen. Allen Gefangenen stand die Furcht ins Gesicht geschrieben. Die Angst war nahezu greifbar. Ein paar der Gefangenen murmelten leise.
Einer der herantretenden Aufseher schlug kräftig mit seinem Stock gegen die Käfigstangen. Erschrocken sahen die Insassen ihn an und es herrschte Ruhe. Die Riesen lachten erneut, dann öffneten sie den Wagen und trieben die Insassen heraus. Durch eine kleine Tür wurden sie in einen viel zu kleinen Raum gebracht. Dort warteten sie kurz, ehe eine andere Tür aufging und ein Mann ihnen mit barschen Lauten zu verstehen gab, dass sie den Raum verlassen sollten. Immer einer nach dem anderen wurden sie heraus geholt und von einem weiteren Mann gemustert. Nachdem dieser sich etwas mit einer Feder notiert hatte, wurden sie auf den Hof zu den Arbeitern geschickt, um sich diesen an zu schließen.
Die Neuankömmlinge sahen schnell ein, dass eine Gegenwehr zwecklos war und ergaben sich in ihr Schicksal. Widerwillig führten sie ihre Arbeit aus.
Donata war zu einer Gruppe gebracht worden, die Steine aus einem Steinbruch zu den Steinmetzen trug. Jede Arbeitseinheit bestand nur aus kleinen Menschen.
Die roh behauenen Steine wurden dann gestapelt und später in ein Lagerhaus gebracht.
Als Donata diesen Vorgang beobachtete, wusste sie, warum nur wenige Häuser aus Stein gebaut waren. Die Technik des Steinabbaus war in dieser Kultur noch nicht weit entwickelt und so würden sich wohl nur die Reichen ein Haus aus Stein leisten können.
Schon nach kurzer Zeit schmerzen Donata die Arme und Schultern. Sie war die harte Arbeit einfach nicht gewohnt. Als sie jedoch eine Pause machen wollte, kam einer der Aufseher auf sie zu. Mit seiner Peitsche drohte er ihr schon auf seinem Weg. Schnell wandte sich Donata wieder ihrer Arbeit zu. Sie hatte schon gesehen, wie andere Peitschenhiebe erhalten hatten. Siegesbewusst lächelte der Aufseher.
Als sich die Sonne dem Horizont näherte und es im Hof schon fast zu dunkel war, um weiter zu arbeiten, wurden die Arbeiter zusammen getrieben. Die Gruppe wurde gezählt und in einen großen Saal gebracht. Angstvoll sah sich Donata um. Aber es waren keine Folterinstrumente oder ähnliches zu sehen. Sie traute den Riesen inzwischen alles zu.
Der Saal war mit Stroh ausgelegt. Fenster waren keine zu sehen. Die Tür war aus massivem Holz und mit schwarzem Eisen beschlagen. Ein kleines Kuckloch erlaubte es den Riesen, ihre Gefangenen zu beobachten.
In der Mitte des Raumes stand ein großer Kessel mit wässrigem Brei. Die daneben gestapelten Holzschalen waren mit Essenresten verkrustet. Ein paar Fliegen umschwirrten sie. Trotz dieses eher unappetitlichen Anblicks nahm sich jeder eine der Schalen. Jemand übernahm den Dienst am Kessel und teilte den Brei aus. Da die Schalen jedoch nicht für alle reichten, wurde in Schichten gegessen. Donata war über dieses zivilisierte Verhalten erstaunt. Keiner der Gefangenen stürzte sich wie ein Wolf auf das Essen, obwohl jeder sehr hungrig sein musste. Auch das Austeilen und Weitergeben der Schalen war geregelt. Jeder, der seine Schale leer gegessen hatte, gab sie einem noch Wartenden und suchte sich dann einen Platz am Raumrand.
Einer der Männer drückte Donata eine Schale in die Hand. Sie ging damit zum Kessel und ließ sie sich füllen. Der Brei war schon fast alle, und noch immer warteten viele auf ihrem Anteil. Es erschien Donata so, als ob ein paar der Gefangenen leer ausgehen würden.
Als sie jedoch den Brei versuchte, wusste sie, dass alle nur aßen um zu leben. Der Inhalt der Schüssel schmeckte angebrannt und nach Küchenresten, die bereits ein paar Tage alt waren. Nur widerwillig aß Donata ihren Anteil und gab dann die Schale weiter.
Unsicher ging sie dann in eine der beiden hinteren Ecken. Da sie keinem wirklich Stroh wegnehmen wollte, schob sie sich nur eine dünne Schicht zusammen und kauerte sich darauf. Nur wenig später war der Kessel leer und alle suchten sich einen Platz. Viele schienen schon einen festen Schlafplatz zu haben, denn sie redeten und scherzten mit ihrem Strohnachbarn. Als von der Tür her Schritte zu hören waren, verstummten alle schlagartig und legten sich müde nieder. Zwei Wachen betraten den Raum und nahmen den Kessel mit. Als nichts mehr von ihnen zu hören war, wurden die Arbeiter wieder munterer und erzählten weiter. Verwundert runzelte Donata die Stirn. Sie verstand nicht, woher die anderen die Energie für diese sozialen Aktivitäten nahmen.
Völlig erschöpft sank sie auf ihr Strohlager. Sie versuchte aber, den ihr nächsten Gruppen zu zu hören, aber sie verstand die Sprache nicht. Ein wenig erinnerten sie die melodischen Stimmen an Wiq. Versunken in Erinnerungen dämmerte Donata vor sich hin, zu erschöpft um zu schlafen.
Ein leichtes Rütteln holte Donata in die Wirklichkeit zurück. Einer der Arbeiter kniete neben ihrem Lager. Schlaftrunken sah Donata ihn an. Er lächelte leicht und sagte etwas zu ihr. Erneut verstand sie nichts, auch wenn sie die Sprache entfernt an Aborigine erinnerte. Sie zuckte mit den Schultern.
Der Mann überlegte kurz und ging dann zu anderen zurück. Die Gruppe erzählte leise. Neugierig beobachtete Donata ihr Verhalten. Sie erkannte ihren Sitznachbarn vom Karren, welcher ebenfalls bei der Gruppe stand.
Es dauerte ein klein wenig, dann kam der Frager erneut zu ihr. Schwerfällig setzte er sich. Donata dachte sich, dass es nur höflich sei, sich auch zu setzen und tat es ihm gleich. Er wiederholte seine Frage. Erneut gab ihm Donata mit einem Schulterzucken zu verstehen, dass sie ihn nicht verstand. Er versuchte es in einer anderen Sprache. Sie klang rauer, kehliger, aber nicht so roh wie die der Riesen. Wieder war ein Schulterzucken ihre Antwort.
Er versuchte weitere Sprachen, doch keine kam Donata auch nur im Entferntesten bekannt vor. Nachdenklich schwieg der Mann. Er schien unbedingt Kontakt aufnehmen zu wollen. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.
“Hüldus”, sagte er und deutete auf sich selbst.
Ein wenig verwundert sah Donata ihn an. Sie war zu müde, um sofort zu begreifen, was der Mann ihr sagen wollte. Sie zuckte wieder mit den Schultern.
Der Mann versuchte es erneut. Er deutete erst auf alle Menschen im Raum und auf sich: “Aureaner.”
Dann deutete er wieder auf sich: “Hüldus.”
Diesmal verstand Donata. Sie deutete auf die Menschen im Raum und wiederholte seine Bezeichnung für sie: “Aureaner.”
Dann deutete sie auf ihn: “Hüldus.”
Erfreut nickte ihr Gegenüber. Dann deutete er fragend auf sie.
Donata wiederholte die Halbkreisbewegung: “Australier.”
Dann zeigte sie auf sich selbst: “Donata.”
Hüldus wiederholte nun ihren Namen. Und dann verband er ihn mit ihrem Volk: “Donata rour Australier.”
Verwirrt sah Donata ihn an.
Erneut griff er auf bereits bekanntes zurück. Er deutete erneut auf sich: “Hüldus” – dann auf die anderen im Raum – “rour Aureaner.”
Dann wiederholte er: “Donata rour Australier?”
Nun hatte sie verstanden. Sie nickte. Hüldus atmete erleichtert auf. Die erste Verständigung hatte geklappt. Auch Donata freute sich.
***
Am nächsten Morgen wurden die Arbeiter früh geweckt. Ein Frühstück gab es nicht, und so mussten alle ohne eine Mahlzeit die schwere körperliche Arbeit im Steinbruch erledigen. Donatas Muskeln protestierten bereits bei der kleinsten Bewegung heftig, doch sie zwang sich zur Arbeit. Sie wollte den Aufsehern keinen Anlass geben, ihre Peitschen und Stöcke zu gebrauchen. Ein Maß dessen, was die Arbeiter tun sollten, konnte sie nicht erkennen. Donata war sich im Klaren darüber, dass die Chance einer Rückkehr nach Australien mit jedem Tag geringer wurde. Doch sie wollte überleben und einen Weg zurück finden. Diese Welt unter dem Eis faszinierte sie auf eine Weise und sie wollte den Menschen der Erde mitteilen, dass ein Volk den Krieg überlebt hatte, welches bis jetzt noch nicht entdeckt worden war.
Gegen Mittag wurde es im Hof fast unerträglich heiß. Die Aufseher wurden schläfriger und achteten nicht mehr so genau auf die Arbeiter. Einige saßen sogar nur im Schatten und würfelten oder dösten ein wenig. Die Arbeiter nutzen diese Zeit, um langsamer zu arbeiten und um kurz zu verschnaufen, wenn sie nicht gesehen wurden.
Erst der späte Nachmittag brachte ein wenig Kühle in den Hof. Ein etwas frischerer Wind wehte und trocknete den Schweiß der Arbeiter. Dieser Wind holte aber auch die Aufseher aus ihrer Trägheit. Wieder aufmerksamer trieben sie die Arbeiter zu schnellerer Arbeit an.
Als es langsam dämmerig wurde im Hof, kam eine alte Frau aus einer Tür. Sie musterte die Arbeiter, die mit ihrer Last zu den Steinmetzen gingen. Nach einer kleinen Weile ging sie zu einem Aufseher und sprach kurz mit ihm. Dabei deutete sie auf Donata. Diese war neugierig ein wenig langsamer gegangen und hatte dies bemerkt. Unwillkürlich beschleunigte sie bei dieser Geste ihre Schritte.
Der Aufseher folgte ihr mit seinen Augen, dann nickte er kurz. Zusammen mit der Frau ging er zu Donata hinüber. Erschrocken zuckte diese zusammen, als sich der Schatten der beiden über sie legte. Die alte Frau wartete, bis Donata aufsah und bedeutete ihr dann, dass diese ihr folgen sollte. Unsicher und ein wenig verängstigt folgte Donata dieser Anweisung. Die anderen Arbeiter beachteten den Austausch scheinbar nicht.
Donata folgte der Frau durch die Tür in das Gebäude. Es ging einen Gang entlang durch eine weitere Tür in eine große, schmutzige Küche. Die Frau bedeutete Donata, dass diese Korn mahlen sollte und danach verschrumpeltes Gemüse schneiden. Dann wandte sich Köchin wieder ihrer eigentlichen Arbeit zu.
Ein wenig verwundert wandte sich Donata ihrer neuen Aufgabe zu. Das Mahlen des Korns war nicht einfach, da es auch nur grob gereinigt worden war. Auch die Mahlsteine passten nicht wirklich zueinander.
Nachdem sie mit dem Mahlen fertig war, taten Donatas Schultern nur noch mehr weh. Sie versuchte das aber nicht zu zeigen, sondern wandte sich der Schneidarbeit zu – welche nicht wirklich leichter war. Das Messer war ziemlich stumpf und das Gemüse zäh.
Wozu wird dieses Gemüse eigentlich verwendet? So zäh wie das ist, kann man es doch kaum essen.
Die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage erhielt Donata nur wenig später. Die Köchin holte einen großen Kessel aus einem Nebenraum und stellte ihn aufs Feuer. Dann bedeutete sie Donata, dass sie mit einem Eimer Wasser aus einem Brunnen in einem kleinen Nebenhof holen und in den Kessel zu dreiviertel voll füllen sollte. Als Donata das erste Mal Wasser in den Kessel goss, erkannte sie ihn als den, in welchem am Vorabend der Brei für die Arbeiter war.
Anschließend sollte Donata noch Wasser holen, um dann Holzteller und ‑schüsseln ab zu waschen. In dieser Zeit briet die Köchin ein kleines Tier über dem Feuer.
Als das Wasser im Kessel kochte, sollte Donata das Mehl und das Gemüse hineinschütten und kräftig rühren. Es entstand der Brei, den Donata schon vom Vorabend kannte.
Während der Brei köchelte, musste Donata erneut Gemüse schneiden. Diesmal konnte sie auch besser erkennen, um was es sich handelte – oder auch nicht, denn sie kannte das Gemüse nicht. Nur eines erinnerte sie entfernt an eine Aubergine.
Dieses frischere Gemüse wurde getrennt zubereitet und Donata hatte das Gefühl, dass es für die Aufseher bestimmt war.
Als der Brei fertig gekocht war, musste Donata den Kessel in den Arbeitersaal schleppen. Noch war keiner darinnen. Auch sie durfte nicht bleiben, sondern wurde in einem anderen Raum angewiesen, die Tische mit den Holztellern zu decken und dann Holzschüsseln mit Gemüse und Holzplatten mit gebratenem Fleisch auf den Tischen zu verteilen.
Als Donata fast fertig war, betrat ein reich gekleideter Mann den Saal. Er beobachtete sie eine kleine Weile und setzte sich dann an einen etwas erhöht stehenden Tisch. Die Köchin schien nur darauf gewartet zu haben, dass dieser Mann den Saal betrat. Sie brachte ihm persönlich einen Teller und stellte ihm eine Auswahl der Speisen zusammen. Er dankte ihr und gab ihr dann ein paar Anweisungen. Knapp nickte die Köchin. Dann bedeutete sie Donata, dass diese ihr zum Hof folgen sollte. Dort sagte sie kurz etwas zu einer der Wachen. Diese nickte und brüllte dann einen Befehl über den Hof. Die Arbeiter wurden zusammen getrieben und wie am Vorabend gezählt. Dann ging es in den Schlafsaal. Die Köchin wies Donata an, sich den Arbeitern an zu schließen.
Als Donata nicht mehr zu sehen war, sagte die Köchin etwas zu der neben ihr stehenden Wache. Missmutig erwiderte diese etwas, schien aber keine Gegenargumente zu haben. Zufrieden ging die Köchin zurück in die Küche.
***
Wie am Vorabend teilte einer der Arbeiter das Essen aus. Donata stellte sich ein wenig weiter hinten an. Nachdem sie die Zubereitung des Breis gesehen hatte, war ihr der Appetit auf diesen ein wenig vergangen.
Nach dem Essen setzte sich Donata wieder in ihre Ecke und dachte über ihre Situation nach. Lange konnte sie dies aber nicht tun, denn Hüldus gesellte sich zu ihr. Verwunderte grüßte Donata ihn.
“Huob Donata. Worelao Aureani?”
Donata runzelte leicht die Stirn und sah Hüldus fragend an. Dieser überlegte einen Moment, dann deutete er auf Donata. Mit der anderen Hand machte er eine Bewegung, als ob sich ein Mund bewegen würde.
“Ich rede?”
Nun war es an Hüldus, verwirrt zu schauen. Donata deutete auf sich und wiederholte seine Geste. Er nickt, dann wiederholte er seine Gesten und deutete dann auf die Aureaner. Donata überlegte einen Moment. Sie wusste nicht genau, was er ihr sagen wollte.
Hüldus stand ratlos vor der jungen Frau. Er war damit beauftragt worden, mit ihr Kontakt auf zu nehmen und heraus zu finden, wo sie herkam. Da sie aber keine der ihm bekannten Sprachen sprach, musste er sich anders mit ihr verständigen. Nur – wie sollte er ihr sagen, dass er ihr seine Sprache beibringen wollte?
Donata dachte über Hüldus’ Gesten nach. Irgendetwas sollte sie tun. Die Handbewegung schien auf das Reden zu deuten, aber dessen war sie sich nach seiner Geste auf die Aureaner nicht sicher. Sollte sie mit den Aureanern reden? Aber sie kannte die Sprache dieses Volkes nicht.
Oder – soll ich die Sprache der Aureaner lernen?
Dies war die einzige Interpretation von Hüldus Gesten, die Donata sich vorstellen konnte. Sie sah Hüldus an. Dann deutete sie auf sich, machte die Geste des Sprechens und deutete dann in den Raum. Aber im Gegensatz zu Hüldus hörte sie an dieser Stelle nicht auf, sondern deutete noch auf Hüldus.
Nach einem kurzen Stirnrunzeln hatte Hüldus sie verstanden und lächelte erfreut. Er setzte sich neben sie und deutete auf das Stroh: “Armk.”
“Armk?”
Hüldus hob eine Handvoll des Strohs auf. “Armk.”
Donata nickte. Stroh hieß also “Armk”.
Man sah Hüldus an, dass er sich freute, dass sie ihn verstanden hatte. Er überlegte, was er ihr als nächstes beibringen könnte.
***
Am nächsten Morgen war Donata sehr müde, als die Aufseher die Arbeiter weckten. Der Sprachunterricht bei Hüldus hatte sie ziemlich angestrengt und es war auch relativ spät geworden. Als Donata jedoch den Saal mit den anderen verließ, wurde sie von einem der Riesen heraus geholt. Er befahl ihr mit Gesten, ihm zu folgen und brachte sie dann wieder in die Küche. Dort wartete bereits die Köchin.
Wieder musste Donata verschiedene Zutaten vorbereiten und abwaschen. Die Köchin jedoch schien sich sehr über Donatas Arbeit zu freuen und sagte ihr hin und wieder, wie etwas hieß. Begierig saugte Donata jedes Wort auf. Denn nur, wenn sie die Riesen würde belauschen können, konnte sie erfahren, wo der Tunnel zurück nach Asmidas 2 war.
Donata merkte aber schon an diesem zweiten Tag in der Küche, dass die Köchin sehr darauf achtete, dass alles in einem bestimmten zeitlichen Rahmen fertig wurde. Zwar war die Arbeit nicht so anstrengend wie im Steinbruch, aber die meist stumpfen Messer und das kalte Wasser für das Abwaschen waren dem Arbeitstempo nicht förderlich.
Als in der Küche das Frühstück für den Besitzer des Hauses fertig zubereitet worden war, musste Donata beim Hausputz helfen. Die Köchin schien also für alles zuständig zu sein. Für die Putzarbeit wurde noch ein weiterer Arbeiter vom Hof geholt. Dieser musste die schwere Arbeit machen, Schränke verrücken, oder frisches Wischwasser holen.
Donata selbst taten schon nach kurzer Zeit die Schultern weh. Sie saß auf dem Boden und musste diesen schrubben. Der grobe Lappen war aber eher für die Größe und Stärke der Riesen ausgelegt, sodass sie ihre Mühe damit hatte.
Lange währte die Hausarbeit jedoch nicht und Donata kehrte zusammen mit der Köchin in die Küche zurück. Das Mittagessen für die Riesen wurde zubereitet. Erneut schnitt Donata Gemüse und schrubbte Teller und Schalen.
Nachdem das Essen verspeist war, wurden kleine Küchlein für einen Nachmittagssnack für den Hausherren gebacken. Diese Arbeit ging gleich in die Abendbrotvorbereitungen mit über. Als dann der Brei für die Arbeiter gekocht war und Donata in den Schlafsaal entlassen – heute ein wenig früher, sodass sie allein in diesem war – legte sie sich erschöpft auf ihr bisschen Stroh.
Als die Arbeiter in den Saal kamen, wurde Donata von den schweren Schritten dieser wach. Fast noch erschöpfter und müder stand sie auf und ging zum Kessel hinüber. Ein paar grüßten sie mit einem leichten Kopfnicken. Dann wurde wie jeden Tag der Brei verteilt.
Nach dem Essen setzten sich alle wieder zusammen und erzählten, wie jeden bisherigen Abend. Und erneut kam Hüldus zu Donata hinüber, um ihr seine Sprache bei zu bringen.
***
Auch am nächsten Tag war Donata wieder in der Küche. Sie erkannte, dass sie nun wohl immer hier arbeiten sollte. Dies half ihr, ihre Situation ein wenig entspannter zu sehen. In der Küche würden ihre Kräfte langsamer schwinden, oder sogar wieder zunehmen. Ihre Chancen auf eine Rückkehr nach Australien stiegen.
Trotz der relativ einfachen Arbeit war Donata jeden Abend völlig zerschlagen. Auch das Lernen der zwei Sprachen erwies sich als kompliziert. Oft verwechselte Donata Begriffe. Dann korrigierte Hüldus sie. Aber in einer solchen Situation fühlte sich Donata immer unwohl, denn Hüldus sah sie dann ein wenig schief an. Und noch konnte sie seine Sprache nicht gut genug, um ihm ihre Kenntnisse der Sprache der Riesen erklären zu können.
***
Der Alltagstrott setzte sehr bald ein und so merkte Donata kaum, wie die Wochen vergingen und zu Monaten wurden. Sie hatte sich zwar ein Stückchen Kohle aus der Küche mitgenommen und anfangs jeden Tag einen weiteren Strich neben ihrem Strohlager gezogen, aber als sich die Striche mehrten, hatte es sie zu sehr betrübt. So hatte sie diese Art der Zeiterfassung aufgegeben.
Es war ein weiterer Abend im Schlafsaal. Alles schien wie immer. Alle aßen ihren Brei, und sie lernte ein wenig mehr Aureanisch von Hüldus. Inzwischen konnte sie sich schon ziemlich gut mit ihm verständigen und auch ihr Mosurfallanisch – sie wusste inzwischen, dass die Riesen Mosurfallaner hießen – hatte große Fortschritte gemacht. Oft genug belauschte Donata die Wachen, lernte neue Worte und erfuhr von den Ereignissen im Königreich. Über diese hatte sie schon hin und wieder mit Hüldus gesprochen, was oft sehr lehrreich gewesen war für sie. Dieser wusste inzwischen, woher sie ihre Kenntnisse hatte und befürwortete dies. Die Köchin jedoch hatte aufgehört, ihr weitere Worte zu sagen. Sie schien Angst davor zu haben, dass jemand heraus bekommen könnte, dass Donata einen Teil des Mosurfallanischen verstand.
Nach dem Essen war ein leises Raunen durch die Aureaner gegangen. Es war nur kurz verstummt, als die Wachen den Kessel geholten hatten. Und selbst da war noch ein leichtes Summen hörbar gewesen – die Spannung der Arbeiter war beinahe körperlich spürbar. Die Wachen merkten dies zum Glück nicht.
Ein wenig verwirrt fragte Donata Hüldus, was an diesem Abend los war.
“Unsere Gefangenschaft wird enden, Donata. Sieh!”
Hüldus deutete auf einen Arbeiter, der mit einem kleinen, weißen Beuteltier auf seiner Schulter durch den Raum ging.
“Die Süspé. Das ist ein Zeichen!”
“Ein Zeichen…?”
In diesem Moment rief einer der Aureaner Hüldus zu sich.
“Entschuldige mich bitte einen Moment, Donata.”
Hüldus ging zu dem Rufer hinüber und überließ Donata ihren Gedanken.
Wofür war dieses Tier, diese Süspé, ein Zeichen? War es ein Zeichen, dass ihr aller Tod da war? Meinte Hüldus das mit: ‘Unsere Gefangenschaft wird bald enden.’? Oder würde das Volk der Aurora die Arbeiter befreien? Einen Teil von sich selbst wieder der Freiheit zuführen? Würden sie Donata mitnehmen?
Am meisten Angst bereitete Donata der Gedanke, dass das Tier ein Zeichen für ein ihr unbekanntes Ritual war. Das mit ihrer aller Tod enden konnte. Sie kannte die Kultur noch zu wenig, um darüber ein Urteil fällen zu können. Aber wenn man die Mosurfallaner als Beispiel nahm, dann war fast alles möglich.
Warum ist nur alles so kompliziert? In Australien und auch auf der Station 5 ist alles so viel einfacher gewesen! Ach, wie gern würde ich Wiq wiedersehen. Und Tante Sarah und Onkel Wulfric!
Hüldus kehrte nicht wieder zu Donata zurück. Er war zu sehr von seinem Volk in Anspruch genommen und legte sich an diesem Tag erstaunlich früh schlafen.
Donata fand an diesem Abend lange keinen Schlaf.
***
Kurz nach Mitternacht öffnete sich die Tür zum Saal leise. Ein winziges Männchen steckte den Kopf durch den Spalt und kicherte leise.
“Ob ich die müden Mannen hier wohl herausbekomme?”
Die Süspé war auf das Männchen zugeeilt und machte es sich an seinem Hals bequem.
“Na, was meinst du? Wir haben es die anderen Male auch immer geschafft. Also! An die Arbeit!”
Das Männchen krempelte seine imaginären Ärmel hoch und hüpfte leise und fröhlich zum ersten Arbeiter hinüber. Es weckte ihn und hüpfte zum nächsten. Es hatte schon ein paar mehr Arbeiter geweckt, als der zuerst Geweckte damit begann, ebenfalls Arbeiter zu wecken.
“Los, los, los ihr müden Mannen! Viel Zeit ist nicht!”
Das Männchen hüpfte weiter.
Es dauerte nicht lange, und alle waren wach. Das Männchen hatte Donata übersehen und auch keiner der anderen hatte an sie gedacht.
Die Arbeiter folgten dem Männchen aus dem Schlafsaal. So leise wie möglich, und doch voller Vorfreude drückte sich jeder durch den Türspalt.
Als Hüldus zur Tür kam, sah er sich noch einmal um. Sechs Jahre seines Lebens hatte er hier verbracht. Sechs Jahre ohne seine geliebte Frau, sechs Jahre ohne seinen Sohn – wie hatte er die beiden immer vermisst.
Dieser Anflug von Übermut, der Hüldus hatte stoppen lassen, rettete Donata. Er sah, dass sie immer noch in ihrer Ecke schlief und eilte zu ihr hinüber.
“Donata!”
Hüldus rüttelte an Donatas Schulter.
“Wach auf!”
Verschlafen blickte sie auf – und war bei dem Anblick des leeren Raumes mit einem Mal hellwach.
“Was ist los, Hüldus? Wo sind die anderen?”
“Das erkläre ich dir später. Komm, wir müssen uns beeilen! Die anderen sind schon fast in der Freiheit.”
Er zog Donata hoch, was ihm nicht so leicht fiel, da sie größer war als er.
“Wir müssen hier raus, ehe die Wächter etwas mitbekommen. Wer weiß, wie sie patrouillieren.”
Hüldus eilte zur Tür, dicht gefolgt von Donata. Auf ein Anregen von Donata hin schlossen sie die Tür soweit sie es konnten. Dies würde ihr Verschwinden ein wenig länger unbemerkt lassen.
Beim Hof stand ebenfalls noch eine Tür offen, die Hüldus und Donata hinter sich schlossen. Einer der Arbeiter hatte wohl gemerkt, dass noch jemand fehlt – oder aber es hatte niemand darüber nachgedacht. Die Beiden betraten das Dorf und schlichen sich an der Hauswand des Herrenhauses entlang aus dem Dorf heraus.
Hüldus musterte aufmerksam ihre Umgebung. Es schien Donata, als ob er etwas suchte.
“Wir werden wohl versuchen müssen, uns allein zu meinem Volk durch zu schlagen. Die anderen werden erst in der Luft gezählt haben, und werden nicht noch einmal landen. Das wäre zu gefährlich.”
Damit ging Hüldus einfach immer weiter vom Dorf weg in die Dunkelheit hinein. In dieser Nacht war kein Mond zu sehen. Auch Sterne konnte Donata keine erkennen. Oder gab es diese hier unter dem Eis nicht?
Erst als es anfing zu dämmern, konnte man wieder mehr sehen. In einiger Entfernung war ein Wald zu sehen, auf den Hüldus nun zielstrebig zuging.
“Wir suchen uns am besten einen sicheren Platz im Wald. Dann können wir ein wenig schlafen.”
Donata hörte, dass Hüldus’ Stimme müde klang.
“Vielleicht finden wir auch ein paar Pilze oder Beeren.”
Donata nickte müde und folgte Hüldus tiefer in den Wald. Sie konnte sich trotz der Aufregung kaum mehr auf den Beinen halten.
Das anfangs dichte Gestrüpp zwischen den Bäumen lichtete sich langsam. Die Abstände zwischen den Bäumen wurden größer. Trotz dessen drang nur wenig Licht durch das dichte Laub der Baumriesen, welche nun den Wald bildeten. Die beiden Menschen wirkten fremd und fehl am Platz.
Die Bäume bildeten eine riesige Halle, die von einem schwachen grünlichen Licht erhellt war. Der Ort besaß eine Aura der Macht und der Ruhe. Zum ersten Mal seit langem fühlte sich Donata völlig entspannt und sicher, so erhaben und unwirklich erschien ihr diese Schönheit.
Hüldus hatte ihr Schweigen richtig interpretiert.
“Ja, die Wälder im Tal der Mosurfalls sind kleine Kostbarkeiten. Doch trotz dieser Schönheit werden sie immer weiter abgeholzt. Die Bewohner dieses Tals haben keinen Sinn für Schönheit.”
“Dieser Ort – er erscheint irgendwie – heilig”, versuchte Donata ihre Gefühle in Worte zu fassen. “Man möchte beinahe an einen liebevollen und fürsorglichen Gott glauben.”
“Ich kenne diesen Gott nicht, Donata, aber es ist im Moment auch nicht wichtig. Wir dürfen uns von diesem Ort nicht verzaubern lassen. Wir müssen nach Noidjôn gehen. Wir werden dort sicherlich erwartet. Zumindest ich”, erklärte Hüldus.
“Sie werden festgestellt haben, dass mindestens einer aus dem Steinbruch nicht unter den Befreiten war. In einem solchen Fall werden alle Grenzposten informiert, damit derjenige dort aufgenommen wird, falls er ebenfalls geflohen ist, aber die Gruppe verlor. Jeder andere Fall wäre wohl sein sicherer Tod.”
“Wir müssen also zu einem solchen Grenzposten kommen?”
“Genau. Hoffen wir, dass wir es schaffen eh die Mosurfallaner uns finden.”
Hüldus sah sich beim Weitergehen aufmerksam um.
“Wir müssen einen Platz zum Schlafen finden. Leider kenne ich die Mosurfallaner nicht gut genug, als das ich wüsste, wie sie bei ihren Suchen vorgehen. Komm, je eher wir etwas finden, desto eher können wir uns auch ausruhen.”
Langsam gingen die beiden weiter. Es wurde nicht wirklich heller um sie, obwohl außerhalb des Waldes die Sonne wohl schon vollständig aufgegangen war. Die Blätter der Bäume fingen den Großteil ab. Und so waren Donata und Hüldus sehr überrascht, als vor ihnen helles Sonnenlicht sichtbar wurde. Vorsichtig gingen sie weiter, immer darauf gefasst, Mosurfallaner zu hören.
Vor ihnen lag eine kleine Lichtung, die durch einen umgestürzten Baum entstanden war. Ein weiterer Baum wirkte ebenfalls schon relativ morsch. Neugierig begutachtete Hüldus den gefallenen Baumriesen. Er bot aber kaum mehr ein Versteck und war von Insekten schon sehr zerfressen. Donata war zu dem morschen Baum gegangen und betastete interessiert die Rinde. Dabei merkte sie, dass diese an einer Stelle ziemlich nachgab. Vorsichtig klopfte sie an den Baum. Ein dumpfer, hohler Ton war zu hören. Der Baum war hohl.
“Hüldus, der Baum hier ist hohl. Wenn er eine Öffnung hat, können wir ihn vielleicht als Schlafplatz nutzen.”
“Das ist eine gute Idee.”
Hüldus untersuchte nun seinerseits den Baum und fand eine Stelle, wo er einen Teil der Rinde heraus brechen konnte. Als ein kleiner Eingang entstanden war und das Innere durch das Sonnenlicht erhellt wurde, kletterten beide hinein. Hüldus zog von innen ein paar belaubte Äste vor das Loch, sodass diese von außen wie ein Busch wirken mussten.
Hüldus tastete im nun recht dämmrigen Licht über den Boden. Morsches Holz bildete eine weiche Unterlage. Er streckte sich auf einer Seite aus.
“Schlaf gut, Donata. Wir werden jedes bisschen Kraft brauchen, um zu meinem Volk zu kommen. Dann finden wir auch einen Weg, damit du zu deinem kommst.”
Hüldus drehte sich halb um und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen. Nur ein leises Schnarchen war zu hören. Donata stieß ihn vorsichtig an, damit er aufhörte. Wenn Mosurfallaner vorbei kämen, würde sie ein schnarchender Baum ziemlich verwundern. Hüldus legte sich im Schlaf vollends auf die Seite und es wurde ruhig.
Donata legte gedankenverloren den Kopf auf die Knie. Wenn ihre Tante und ihr Onkel sie jetzt so sehen könnten! Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
Was würden die beiden sagen? Tante Sarah ist immer so vorsichtig – vielleicht war ich deshalb immer so vorsichtig. Und nun bin ich hier in einem Baum, neben einem Mann, den ich noch nicht lange kenne – über den ich kaum etwas weiß.
“Das gehört sich doch nicht! Donata, wie kannst du so etwas tun!”, würde Tante Sarah sagen. Und Onkel Wulfric würde ganz ruhig sagen: “Sie hatte doch keine andere Wahl, Sarah. Hätte sie weiter im Steinbruch schuften sollen?” Und Tante Sarah hätte geschwiegen im Angesicht seiner Logik.
Donata konnte sich die Szene bildlich vorstellen. Und mit der Zustimmung ihrer Zieheltern legte auch sie sich nieder. Immerhin war die Nacht sehr anstrengend gewesen. Und in der nächsten Nacht würden sie weiterreisen. Da brauchte sie alle Kraft, die der Schlaf ihr geben konnte.
Hüldus wurde gegen Mittag wach und stand auf. Er verließ den Baum leise, nachdem er den Ausgang getarnt hatte und suchte nach Beeren und Pilzen – leider war es eine denkbar ungünstige Jahreszeit dafür.
Donata wurde erst gegen Abend wach. Erschrocken stellte sie fest, dass Hüldus nicht mehr da war. Sie fuhr hoch und wollte zum Eingang hinüber stürzen, als Hüldus Kopf in diesem erschien.
“Guten Abend Donata. Hast du gut geschlafen? Komm, ich habe ein paar wenige Pilze und Beeren gefunden. Nach dem Essen müssen wir aber weiter.”
Donata nickte zustimmend und kletterte aus dem Baum. Hüldus plötzliches Auftauchen hatte sie kurzzeitig erschreckt – es hätte auch ein feindliches Wesen sein können.
“Ich hatte schon gedacht, du lässt mich hier einfach so sitzen.”
“Das würde ich nicht machen, Donata.”
Er reichte ihr einen Teil der Beeren und Pilze.
“Ich könnte nie wieder ruhig schlafen – Ich könnte sogar nicht ruhig schlafen, wenn ich erst in Pong-litz-sa festgestellt hätte, dass du nicht da bist. Du hast uns allen im Steinbruch geholfen, Donata. Ohne es zu wissen.”
Verschmitzt lächelte Hüldus.
“Was ist Pong-litz-sa? Und warum habe ich euch geholfen?”
“Pong-litz-sa ist die Hauptstadt von Noidjôn, dem Tal meines Volkes. Dort werden alle, die in Gefangenschaft gelebt haben, hingebracht und reisen von dort zu ihren Familien zurück. Ich freue mich schon darauf, endlich meine Familie wieder zu sehen. Urba wird sich furchtbare Sorgen machen, wenn ich nicht bei den anderen Gefangenen bin, diese aber erzählen, ich sei im Steinbruch bei ihnen gewesen.
Und warum du uns geholfen hast? Auf verschiedene Weisen, Donata. Zum einen war der Brei besser, nachdem du in der Küche gearbeitet hast. Es waren keine Küchenabfälle mehr drinnen, um nur eines zu nennen. Und manchmal sogar mehr Brei als gewöhnlich.
“Zum anderen aber hast du uns mit deinem Wissen über die Sprache der Mosurfallaner einen großen Gefallen getan. Deine Fragen über die Art der Mosurfallaner, was dir half, ihre Gespräche besser zu verstehen. So erfuhr ich über die Geschehnisse im Tal des Mosurfalls und konnte den anderen berichten. Ich verstehe also nicht, warum sie nicht daran gedacht haben, dich zu wecken.”
“Kommen die anderen denn vor uns dort an?”
“Ich denke schon. Normalerweise sind solche Befreiungsaktionen sehr gut geplant. Die Süspé hat uns das Zeichen gegeben gestern Abend. Alle Aureaner wissen, was dieses Tier bedeutet – Salèth ist nicht weit weg. Er ist einer der kleinsten Vertreter meines Volkes, aber einer der bedeutendsten. An jeder Befreiungsaktion ist er maßgeblich beteiligt. Er schleicht sich in die Lager und holt unsere Leute heraus. Er erkundet die Lager und plant die Befreiungen. Er sucht auch immer nach neuen Steinbrüchen und ähnlichen Gefangenenlager. Als ich gefangen genommen wurde, waren erst zehn solcher Lager bekannt. Es müssen aber weit mehr sein”, erklärte Hüldus.
“Normalerweise dauert es nicht lange, bis man wieder befreit wird. Manchmal aber ist man in einem unbekannten Arbeitslager und dann kann es Jahre dauern.”
“Wie lange warst du denn gefangen, Hüldus?”
“Sechs lange Jahre. Wahrscheinlich war das Lager relativ unbekannt. Außerdem war mein Volk dort nicht sehr stark vertreten. Lager mit großem aureanischen Gefangenenanteil werden früher befreit.”
“Aber – wir waren doch über 100 Gefangene!”
“Das stimmt schon, Donata. Aber sehr viele stammen von anderen Völkern ab. Auch sie werden befreit und kehren von Noidjôn aus in ihre Heimat zurück. So wie du.
Es ist für mein Volk von Vorteil, mit den meisten Völkern gut befreundet zu sein. Wir haben zwar eine starke Armee und sind technologisch weiter als viele andere, aber gegen eine Allianz aller anderen Völker hätten auch wir keine Chance, gerade da wir nicht zu den zahlreichen Völkern gehören. Wir zeichnen uns durch andere Dinge aus – Wissenschaft, Technik.
“So aber besteht ein gutes Verhältnis zu den meisten Völkern und wir erhalten Rohstoffe und Produkte günstiger. Dafür reparieren wir auch jedem Volk seine Sonne, wenn diese einmal einen Fehler aufweist.”
“Wie kann man eine Sonne reparieren?”
“Nun ja, du weißt doch, dass alle Täler von künstlichen Sonnen beleuchtet werden, die können natürlich auch mal kaputt gehen.”
“Künstliche Sonnen? Heißt das, dass wir hier wirklich unter dem Eis sind?”
Ungläubig sah Donata Hüldus an. Bisher hatte sie diese Tatsache noch immer nicht ganz glauben wollen.
“Aber sicher. Donata, was hast du denn gedacht? Dein Volk muss in einem sehr weit entfernten Tal wohnen, wenn ihr das nicht wisst.”
Hüldus sah sie verwundert an.
“Aber – lass uns weiter gehen, es wird schon dunkel und wir haben einen ziemlich weiten Weg vor uns.”
Donata nickte leicht.
“Machen wir das. Aber – Hüldus, ich wohne in keinem Tal. Ich habe auf einer Ebene gewohnt. Wir haben in Australien keine Berge.”
“Ich rede ja auch nicht von Bergen”, belehrte Hüldus sie freundlich.
“Die Täler sind teilweise sehr groß, sie wirken wie eine Ebene. Aber über allen Tälern liegt eine chine-dicke Eisschicht.”
Donata kann nicht von einem hochentwickelten Volk abstammen. Aber sie hat großes Potenzial. So schnell, wie sie meine Sprache gelernt hat, dachte Hüldus bei sich.
“Eine chine-dicke Eisschicht?”, fragte Donata schwach, sich daran erinnernd, dass ein Chine ungefähr einem Kilometer entsprach.
“Wie soll ich denn da je nach Australien zurückkommen?”
Warum ist mir das nicht schon früher aufgefallen? Der Gang – er war doch sehr lang gewesen, auch wenn die Mosurfallaner nicht sehr lange gebraucht hatten. Ich habe ihre Größe nicht in Erwägung gezogen! – Und mit jedem Schritt entferne ich mich weiter vom Gang.
“Wir finden schon einen Weg, wie du nach Hause zurückkehren kannst, Donata.”
Hüldus verdeckte den Eingang zum Baum mit der heraus gebrochenen Rinde.
Ich muss es ihm erklären. Er kann es nicht wissen. Aber vielleicht hat er eine Idee.
“Hüldus, Australien liegt aber nicht unter dem Eis. Die Mosurfallaner nahmen mich gefangen, als ich bei Asmidas 2 spazieren ging. Sie haben mich durch einen langen Gang hierher gebracht. Dieser Gang – er führte unter das Eis.”
“Willst du damit sagen, dass dein Volk hinter dem Eis lebt?”, fragte Hüldus völlig überrascht.
“Ja, das will ich sagen. Ich wurde nicht unter dem Eis geboren. Ich habe die richtige Sonne gesehen – den Mond und auch die Sterne – über dem Eis.”
“Hinter dem Eis…”, murmelte Hüldus.
Donata war unsicher. Wusste das Volk der Aurora, wusste Hüldus, dass Menschen in Australien lebten? Oder würde er sie für verrückt erklären?
“Aber – wie kann das sein? Es war doch nur eine Theorie – die niemand glaubte – die ich nicht belegen konnte. Wenn es aber stimmt…”
Hüldus wurde immer aufgeregter.
“Wenn es stimmt – dann ist all mein Streben nicht umsonst gewesen! Oh, Donata, ich wusste es!”
Verwirrt sah Donata Hüldus an.
“Was wusstest du?”
“Dass dies alles hier, unsere Täler, dass das nicht alles ist. Dass es auch etwas hinter dem Eis gibt. Dass dort Wesen leben!”
“Warum sollten dort keine Wesen leben? Dort scheint die Sonne. Es sind genug Pflanzen da, das Tiere und Menschen gut leben können.”
“Ja, Donata, aber sieh dir doch die Eiswände an. Keiner kennt es anders. Alle denken, dass es dahinter, darüber nichts geben kann als den Tod, weil das Eis so tödlich sein kann. Aber – dies erklärt doch einiges. Du verhältst dich anders, du kennst die allgemeine Sprache nicht. Eine Frage jedoch stellt sich mir.”
“Welche, Hüldus?”
Donata ging ein wenig schneller, Hüldus hatte seine Schritte während der Unterhaltung beschleunigt. Er war zu aufgeregt.
“Wieso konntest du schon ein paar Worte in meiner Sprache? Bei manchen Sachen brauchte ich dir die Worte nicht nennen.”
“Mir ist sehr früh schon aufgefallen, dass das Aureanisch dem Aborigine sehr ähnlich ist in manchen Aspekten. Der Klang ist ähnlich, wenn auch vieles für mich sehr anders klingt.”
“Ah, und das ist eine Sprache, die hinter dem Eis gesprochen wird, oder?”
“Genau.”
“Nun ja, lass uns auf den Weg konzentrieren”, sagte Hüldus, der sich gerade wieder an einem Ast gestoßen hatte.
“Je schneller wir vorwärts kommen, desto eher sind wir in Sicherheit und können in aller Ruhe über alles reden. Wirst du mir dann vom Leben hinter dem Eis erzählen, Donata?”
“Gern, Hüldus. Nur – gib mir ein wenig Zeit. Ich vermisse meine Familie und Freunde, mein Leben dort, doch sehr.”
“Mach dir deswegen keine Sorgen, Donata.”
Schweigend gingen sie weiter. Reden taten sie in dieser Nacht kaum mehr etwas, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
***
Fast drei Wochen wanderten sie, ehe sie weit genug von Mosurfallanersiedlungen entfernt waren, um auch tagsüber weiterreisen zu können. Bis dahin hatten sie sich tagsüber immer versteckt und nur während der Dämmerung das schwache Licht genutzt, etwas zu Essen zu finden.
Donata streckte sich, als sie nach der durchwanderten Nacht gegen Mittag wach wurde.
“Steh auf, Hüldus. Die Sonne scheint.”
Mürrisch rieb sich Hüldus die Augen. Noch halb im Schlaf erwiderte: “Dann schlaf weiter. Wir wandern doch nuu- Oh…”
Langsam wurde er wach.
“Ah, wir sind weit ja genug weg. Ja, lass uns aufstehen.”
Sie kletterten aus ihrem Versteck und streckten ihre verspannten Glieder. Dann gingen sie langsam los. Die plötzliche Farbenvielfalt während des Laufens überraschte sie beide.
“Wie bunt alles am Tag ist. Das ist mir bis jetzt noch nie derart aufgefallen. Wie sehr die Nachtaktivität doch die Wahrnehmung ändert.”
“Ja, das stimmt wohl”, erwiderte Donata.
“Hinter dem Eis ist es in der Hinsicht günstiger. Man sieht auch mehr, da der Mond scheint oder die Sterne zu sehen sind. Es ist fast nie vollkommen dunkel.”
“Es muss wunderbar sein, nachts mit Licht zu wandern. Wie ist Mondlicht, Donata?”
“Der Mond ist silbrig. Viele Menschen lieben es, bei Vollmond mit ihrem Partner draußen zu sein. Es ist sehr romantisch.”
“Silbernes Licht? Ich hoffe, ich kann es einmal sehen. Das muss ein grandioser Anblick sein. Aber, sag, was ist Vollmond?”
“Der Mond hat bestimmte Phasen, die von seiner Stellung zur Erde und der Stellung der Erde zur Sonne abhängt. Die Erde dreht sich um die Sonne und der Mond um die Erde. Der Mond reflektiert nur das Sonnenlicht. Wenn der Schatten der Erde einen Teil des Mondes trifft, ist nicht alles zu sehen”, antwortete Donata. “Sicherlich wirst du es einmal sehen können. Du brauchst nur hinter das Eis gehen.”
“Da wird es wohl leider einfacher sein, einen extra Mond an die Decke zu hängen.”
“Wie meinst du das?”
“Sieh dir die Sonne an der Eisdecke an.” – Hüldus deutete nach oben –“Sie ist eine Erfindung der Aureaner. Ein künstliches Gebilde, welches auf einer festgelegten Bahn an der Decke des Tals entlang zieht. In allen Tälern ist die gleiche Zeit, die Sonne auf gleicher Höhe.”
“Unglaublich! Das ist ja ein Wunder!”
“Wenn, dann ist es ein technisches.”
Hüldus musste lächeln.
Hinter dem Eis sind sie doch sicherlich technologisch weiter als wir. Ein Austausch würde dem Volk der Aurora einiges bringen, dachte er bei sich.
Mit schnellen, kraftvollen Schritten gingen sie über die Wiesen. Das viele Wandern der letzten Tage hatte ihre Bewegungen flüssiger gemacht, es war ein Teil ihres Seins geworden.
“Es wird Zeit, ein wenig Essen zu Mittag zu finden.”
“Ja, aber siehst du etwas?”
Hüldus deutete auf ihre Umgebung. Seit ungefähr einer Stunde war die Gegend immer karger geworden. Inzwischen war der Großteil in Sandwüste übergegangen.
“Wir werden wohl den Gürtel enger schnallen müssen. Hier war früher viel Wald, aber heute – die Mosurfallaner holzen wirklich alles ab.”
“Hüldus, viel enger können wir den Gürtel nicht mehr schnallen.”
Hüldus betrachtete sie, und stimmte zu. Nicht nur an Donata, auch an ihm sahen ihre Kleidungsstücke mehr als zu groß aus. Nur wenige Pilze und Beeren waren als eindeutig essbar identifiziert worden. Und aus dem Steinbruch waren sie auch nicht mit Übergewicht entkommen.
“Lass uns ein wenig schneller gehen. Und an etwas anderes denken”, sagte Hüldus nachdenklich.
“Die Grenze sollte nicht mehr weit sein.”
“Dann ist es ja gut.”
Schweigend wanderten sie weiter. Donatas Magen rebellierte schon seit ein paar Tagen und auch jetzt ließ er ihr keine Ruhe. Hüldus ging es nicht besser, aber er schritt weit aus und erhöhte das Tempo leicht.
Gegen Abend konnten sie in der Ferne sehen, wie sich die Taldecke dem Boden annäherte.
“Schau! Wir haben es fast geschafft!”, sagte Hüldus, rufen konnte er nicht mehr. “Wollen wir in der Nacht weiter wandern?”
“Warum nicht. Dann sind wir eher da. Ich könnte wohl eh nicht schlafen, soviel Hunger hab ich”, erwiderte Donata, angesichts der nahen Grenze erleichtert.
“Da muss ich dir zustimmen. Rasten sollten wir aber trotzdem ein wenig. Sonst sind wir irgendwann zu schwach und brauchen länger.”
Donata nickte. Gemeinsam setzten sie sich auf den sandigen Boden und sahen dem Sonnenuntergang zu.
“Hier also endet mein sechsjähriges Abenteuer. Nicht mehr lange und ich werde wieder bei meiner Familie sein. In meinem eigenen Bett schlafen. Ich habe dies alles sehr vermisst, Donata.”
“Das glaube ich dir, Hüldus. Ich vermisse mein Leben hinter dem Eis auch. Meine Freunde, meine Familie und auch meine Kollegen von der Station 5. Es ist schwer, zu wissen, dass dies alles da ist und man nicht zurück kann. Sie alle – sie wissen nicht, dass ich noch lebe, dass es diesen Ort hier gibt, dass es mir gut geht – unserer Situation entsprechend gut”, schränkte sie dann traurig ein.
“Ich wollte dich nicht daran erinnern, Donata.”
Tröstend nahm Hüldus sie in den Arm. Die Reise hatte sie zusammen geschweißt, einer sorgte sich um den anderen. Oft hatten sie dem anderen eine größere Portion zukommen lassen wollen.
***
Als es vollkommen dunkel war, gingen sie weiter. Die Grenze aber wollte und wollte nicht näher kommen. Und langsam merkten die beiden Wanderer, wie ihre Kräfte nachließen. Sich gegenseitig stützend schleppten sie sich vorwärts.
“Vielleicht sollten wir bis morgen früh warten, Donata. Ich habe kaum mehr Kraft.”
Erschöpft sank Hüldus zu Boden.
“Es kann nicht mehr weit sein. Halte durch!”
Ebenso erschöpft wie Hüldus, aber mit Mut ob der nahen Grenze erfüllt, half Donata ihm wieder auf die Beine.
“Wir haben es fast geschafft. So kurz vor der Grenze dürfen wir einfach nicht aufgeben!”
Schwach klang Donatas Stimme in der Dunkelheit.
Sie schleppten sich weiter, sich gegenseitig Mut zusprechend.
“Wer da?”, tönte plötzlich eine Stimme.
“Wir haben es geschafft, Donata!”
Überglücklich umarmte Hüldus Donata und riss sie dabei beinahe zu Boden, während er selbst dann doch kraftlos zu Boden fiel.
Ein heller Lichtstrahl traf die Beiden. Geblendet hoben sie eine Hand vor die Augen und nach einer kurzen Gewöhnungsphase konnten sie undeutlich die Umrisse eines Mannes sehen, der eine Laterne hochhielt.
“Nun, ihr zwei könnt uns nicht gefährlich werden”, sagte er, als er die mageren Gestalten sah.
“Wer seid ihr?”
“Ich bin Hüldus, ein Forscher. Ich wurde vor sechs Jahren von den Mosurfallanern gefangen genommen. Ich habe am Tag der Befreiung meine Begleiterin Donata noch geweckt, da man sie in einer Ecke übersehen hatte. Als wir den Steinbruch verließen, waren die anderen Flüchtlinge bereits verschwunden und so machten wir uns zu Fuß auf den Weg nach Noidjôn.”
“Sie werden bereits erwartet, Hüldus. Gehen Sie einfach zum Wachhäuschen. Nojì wird Sie hinbringen.”
“Was ist mit Donata?”
“Sie müssen die Verantwortung für ihre Anwesenheit hier übernehmen. Den Grenzposten wurde nur von Ihnen berichtet. Auch von anderen Völkern wurde niemand vermisst gemeldet – jedenfalls niemand mit diesem Namen.”
“Schon gut, ich übernehme die Verantwortung.”
“Nojì? Bringen Sie die Beiden hier bitte zum Wachhäuschen.”
“Jawohl, Teier.”
Ein großer Mann trat aus dem Gebüsch hinter dem Teier. Donata dachte sich, dass Teier wohl ein militärischer Rang bei den Aureanern war.
“Wenn Sie mir bitte folgen würden?”
Er winkte ihnen, und ging los. Hüldus eilte ihm nach.
“Sie sind kein Aureaner, oder?”
“Gut erkannt, Sir.”
Als sie zum Häuschen kamen, wies er sie an, dort zu warten.
“Ich hole schnell den Schlüssel.”
Dann verschwand er kurz in einem Nebengebäude. Er schloss auf und ließ sie ein. Ehe er das Licht an machte, überprüfte er, ob alle Fenster gut verhangen waren.
“Macht es euch bis morgen früh bequem. Morgen ist dann der Zug nach Pong-litz-sa da.”
Er trat kurz zu einem kleinen Tisch und verschickte eine Nachricht. Danach verließ er das Gebäude.
Bei seinem Teier ankommend, fragt er leise: “Wer sind die beiden überhaupt?”
“Der Mann ist Hüldus, so’n verrückter Forscher. Er verschwand vor sechs Jahren. Seine Begleiterin nennt sich Donata. Ich weiß nicht, welchem Volk sie entstammt. Aber es muss sehr weit weg sein. Das ist ein ungewöhnlicher Name.”
“Das stimmt wohl.”
Dann versank Nojì in Schweigen.
***
Am nächsten Morgen wurden Hüldus und Donata vom Pfeifen und Reifenquietschen eines Zuges geweckt.
“Der Zug ist da, Donata. Lass uns zum Gleis gehen.”
“Er würde doch nicht ohne uns abfahren?”
“Das sicherlich nicht. Er wurde ja hergeschickt, um uns ab zu holen.”
Ein Soldat betrat den Raum.
“Der Zug ist soeben eingetroffen. Wenn Sie mir bitte zum Gleis folgen würden.”
Donata und Hüldus folgten ihm aus dem Haus. Die Morgensonne strahlte ihnen ins Gesicht. Neben dem Gleis war nur ein Wassertank zu sehen, aus dem der Zug gerade Kühlwasser nachfüllte.
“Bitte einsteigen!”, ertönte eine Stimme von der Lok.
Ihr Begleiter öffnete die Tür zum Personenwagen.
Hüdus half Donata die Stufen hoch und kletterte ihr dann nach.
“Im Wagon ist ein Frühstück für Sie angerichtet. Gegen Mittag werden Sie Pong-litz-sa erreichen. Dort werden Sie erwartet. Ihrer Familie wurde bereits gestern Nacht die freudige Nachricht überbracht, Geschichtsforscher Hüldus.”
“Ich danke Ihnen, Soldat.”
“Gute Fahrt!”
Der Soldat grüßte zackig und schloss dann die Tür hinter den beiden. Von der Lock ertönte ein langgezogener Pfiff. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung.
Hüldus leitete Donata in den Wagon. Ein kleines, gemütliches Abteil lud sie zum Sitzen ein. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit Tellern. Zwei flache graue Kästen lagen daneben.
“Setz dich, Donata.”
Sie setzten sich gegenüber voneinander hin. Staunend betrachteten sie die Vielfalt an Essen. Besonders die Frische überraschte Donata, selbst das Essen für den Besitzer des Steinbruchs war nicht so gut gewesen. Vieles kannte Donata inzwischen zumindest vom Aussehen her, wenn sie es auch nie wirklich hatte probieren dürfen.
“Greif zu. Nach all dem, was uns passiert ist, haben wir uns das Essen redlich verdient. Immerhin sind wir viele Chine gelaufen, um nach Noidjôn zu kommen.”
Donata ließ sich das nicht zweimal sagen und griff hungrig zu. Hüldus schloss sich ihr an und nur wenig später erinnerten nur noch ein paar Krümel an das Frühstück. Übermäßig viel war es nicht gewesen, ein paar verschiedentlich belegte und garnierte Scheiben Brot und zwei Birnsch. Es reichte aber, um den größten Hunger zu stillen. Donata war sich aber auch im Klaren darüber, dass eine hungerstillende Mahlzeit ihre geschwächten Verdauungssysteme und ihre Körper hätte überfordern können. Die Aureaner wussten also, wie sie die Befreiten versorgen mussten.
Nach dem Essen nahm Hüldus einen der grauen Kästen. Diesen klappte er auf und lehnte sich dann genüsslich zurück. Er erinnerte Donata an ihren Onkel, wenn dieser nach dem Frühstück seine Zeitung las.
Neugierig griff Donata nach dem zweite Kasten und klappte ihn ebenfalls auf. Erstaunt sah sie, dass er aus einem Bildschirm und einer Tastatur bestand. Beide Teile waren jedoch beinahe hauchdünn und erinnerten nur entfernt an die einst so beliebten Reiserechner – die Laptops – aus der Zeit um 2000 n.Ch. herum.
Ein wenig verwundert versuchte Donata, den Nutzen des Geräts heraus zu bekommen. Beim Aufklappen waren auf dem Bildschirm Zeichen erschienen, von welchen ihr einige entfernt bekannt vorkamen. Woher wusste sie jedoch nicht und so sagten diese ihr nicht viel.
“Ich glaube es nicht! Der Ostat hat sein Amt behalten. Dabei waren doch so viele gegen das, was er tat. Nun, er wird wohl seine Politik geändert haben”, murmelte Hüldus leise.
Donata sah auf, aber er redete nicht weiter. Sie wollte ihn jedoch nicht fragen, wer oder was ein Ostat war. Ihr Onkel hatte es nie gemocht, wenn er beim Zeitungslesen gestört wurde. Sie sah aus dem Fenster, vor welchem die Landschaft viel zu schnell vorbei raste, als das man irgendetwas genauer erkennen konnte. Der Zug fuhr mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit dahin, schneller als jeder Zug, den Donata bisher kennen gelernt hatte.
Wenn mir nur einfallen würde, wo ich diese Zeichen schon einmal gesehen habe. Wahrscheinlich müsste ich im Moment selbst bei den lateinischen Buchstaben überlegen, was sie bedeuten. Ich habe in letzter Zeit so viel Neues gelernt, da geht alles, was ich kenne und kannte unter.
Sie lehnte sich zurück, um ein wenig zu entspannen. Da knisterte etwas in ihrer Brusttasche. Stirnrunzelnd griff sie in die Tasche. Was hatte sie da wochenlang mit sich herum getragen, ohne es zu wissen?
Ein zusammengefalteter Zettel kam zum Vorschein. Er sah äußerlich schon ziemlich ramponiert aus. Vorsichtig faltete Donata ihn auseinander. Erstaunt stellte sie fest, dass sie vor ihrer Abreise nach Asmidas 2 Wiqs Brief eingesteckt hatte.
Ich kann mich gar nicht entsinnen, den Brief eingesteckt zu haben. Ich muss ihn gerade noch einmal gelesen haben, bevor wir nach Asmidas 2 losgefahren sind.
Liebevoll strich sie das Papier glatt und versuchte, die Schriftzüge zu entziffern. Ein ziemlicher Teil war schon fast nicht mehr lesbar. Auch musste sich Donata bei vielen Zeichen die Bedeutung erst wieder ins Gedächtnis zurück rufen.
Während sie den Brief langsam erneut las, traten ihr Tränen in die Augen. Die Erinnerungen und der damit verbundene Schmerz brachen plötzlich über ihr zusammen. Leise schniefte sie.
“Was ist los, Donata?”
Donata zwang sich zu lächeln.
“Nichts weiter, Hüldus. Ich habe nur an all die gedacht, die hinter dem Eis leben und die ich wahrscheinlich nicht wieder sehen werde.”
“Wie kommt es, dass du deshalb weinst? Du hast es all die anderen Male auch nicht getan?”
“Ich weiß. Ich habe nur gerade festgestellt, dass ich all die Zeit Wiqs Brief, den er mir Weihnachten geschrieben hatte, in meiner Brusttasche hatte.”
Erst da sah Hüldus wirklich auf. Ihn interessierte, wie hinter dem Eis Briefe verschickt werden, welche Form sie hatten.
“Was ist das für eine Substanz, Donata?”
Er deutete auf das Papier.
“Das ist Papier.”
“Papier? Habt ihr keine Loden, um euch Briefe zu schicken?”
“Loden? Was sind Loden?”
“Loden ist die Mehrzahl von Lodos”, sagte Hüldus, sich erinnernd, dass Donata seine Sprache immer noch nicht vollständig beherrschte.
Lust auf mehr?
Leseprobe
Sneak Peak
Donatas Reise — Das Volk der Aurora
Hier kannst du einen Blick in das erste Kapitel werfen.
Viel Spaß beim Lesen. 🙂
Das sagen meine Leser
Empfehlung!
Der Plot ist meiner Meinung nach außergewöhnlich und etwas Besonderes.
Jeder Science-Fiction/ Fantasy Leser kann sich hier auf eine Spannende Reise machen. Ein sehr gutes Buch, dass mich fesseln konnte und definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Donatas Reise ist eine außergewöhnliche spannende Reise in eine ganz andere Welt. Ich fand die Geschichte wundervoll. Vieles erinnert an unsere Welt und doch ist alles ganz anders und neu.
Mela der Syzar von Donata ist mir sehr an Herz gewachsen. Ich wünschte meine Tiere könnten auch sprechen das wäre bestimmt ein tolles Abenteuer. Was mir auch sehr gefallen hat ist das Donata die Chance erhält noch einmal ganz von vorne an zu fangen.
Das Buch beginnt erstmal mit einigen Details aus Donata ihrem Leben, gegen Ende nimmt das Buch deutlich Tempo auf und legt auch hinsichtlich der Spannung zu. Donata fand ich einen interessanten Charakter. Sie wirkte sehr authentisch. Das Buch überzeugt aber auch mit der Faszination dieser neuen Welt und natürlich einem guten klaren Schreibstil
Für ein Erstlingswerk ohne Unterstützung durch Verlag und Co fand ich es sehr lesenswert und kam sehr flüssig durch. Macht Lust auf mehr von dieser Autorin.
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